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Shankar Srivinas

Forschende beobachten erstmals sehr frühe Entwicklung des menschlichen Embryos

New Research Findings, IES, ICB, IFE,

Forschende von Helmholtz Munich und der Universität Oxford konnten zum ersten Mal Licht in eines der kritischsten Stadien der menschlichen Embryonalentwicklung (Gastrulation) bringen. Die in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichte Studie wird experimentelle Stammzellmodelle verbessern und dabei helfen, ungelöste Rätsel über die Entwicklung des Menschen zu entschlüsseln.

Die Gastrulation ist eine der kritischsten Phasen der frühen Embryonalentwicklung. Sie findet zwischen dem 14. und 21. Tag nach der Befruchtung statt. In diesem Stadium kommt es zu einer explosionsartigen Zelldiversifizierung. Die verschiedenen Zellen bereiten sich darauf vor, Organe und Gewebe zu bilden. Bisher gibt es nur sehr wenige Erkenntnisse über die menschliche Gastrulation, da Proben in diesem Stadium außerordentlich selten sind und Forschende menschliche Embryonen nur bis zu einem Alter von 14 Tagen nach der Befruchtung kultivieren dürfen. Daher beruht unser derzeitiges Wissen hauptsächlich auf Erkenntnissen aus tierischen Modellsystemen (Maus oder Huhn) oder auf Zellkultur-basierten Modellen für menschliche Embryonen.

„Da wir In-vitro-Modelle nicht mit dem vergleichen können, was tatsächlich im Körper geschieht, ist es schwer zu sagen, wie genau unsere Modelle für den Gastrulationsprozess beim Menschen wirklich sind“, erklärt Antonio Scialdone, Mitverfasser der Studie.

Neue Einblicke in die menschliche Entwicklung

In der neuen Studie analysierte die internationale Forschungsgruppe erstmals einen menschlichen Embryo im Gastrulationsstadium, der nach einem Schwangerschaftsabbruch für Forschungszwecke gespendet wurde. Dies geschah über die Human Developmental Biology Resource aus Großbritannien (https://www.hdbr.org) und unter Einhaltung der dort beschriebenen strengen ethischen Standards. Um möglichst viele Informationen aus einer so wertvollen Probe zu gewinnen, nutzen die Wissenschaftler:innen die Einzelzell-RNA-Sequenzierung, um die Genexpression in Zellen aus drei Regionen des Embryos zu messen. Auf diese Weise konnten sie 11 Zellpopulationen und die mit ihren Differenzierungspfaden verbundenen Veränderungen identifizieren.

„Wir haben zum Beispiel eine Zellpopulation identifiziert, die den Blutvorläuferzellen entspricht, aus denen später die verschiedenen Blutbestandteile gebildet werden. Interessanterweise fanden wir bei einem Vergleich mit Mäuseembryonen Hinweise darauf, dass die Blutbildung beim Menschen weiter fortgeschritten sein könnte als bei Mäuseembryonen in vergleichbaren Stadien. Insgesamt liefert unsere Studie jedoch wertvolle Erkenntnisse darüber, dass die Maus auf molekularer Ebene als Modell für die menschliche Entwicklung dienen kann“, sagt Elmir Mahammadov, einer der Erstautoren der Studie.

Ein Meilenstein für künftige Studien

Diese Studie ist ein Meilenstein für die Entwicklungsbiologie, da menschliche Proben in diesem frühen Stadium außergewöhnlich selten sind. Daher stellte das Forschungsteam der wissenschaftlichen Gemeinschaft die Rohdaten der Studie bereits vor Veröffentlichung auf einer Open-Access-Website zur Verfügung (http://www.human-gastrula.net). „Wir haben nun die Möglichkeit, unser derzeitiges Verständnis über die Entwicklung des Menschen zu erweitern. Unsere Erkenntnisse werden helfen, experimentelle Ergebnisse von Modellorganismen oder In-vitro-Modellen zu interpretieren. Außerdem sind unsere Daten eine wertvolle Ressource, um Ansätze zur gezielten Differenzierung menschlicher Stammzellen in vitro zu verfeinern“, sagt Shankar Srinivas, der die Studie von Oxford aus leitete.

Zu den Personen

Elmir Mahammadov und Antonio Scialdone forschen am Institut für Epigenetik und Stammzellen, am Institut für Funktionelle Epigenetik und am Institut für Computational Biology bei Helmholtz Munich. An der Universität Oxford leitete Shankar Srinivas vom Department of Physiology, Anatomy and Genetics die Studie von britischer Seite aus.

Originalpublikation
Tyser et al., 2021: Single-cell transcriptomic characterization of a gastrulating human embryo. Nature, DOI: 10.1016/S2542-5196(21)00195-9.