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Close-up medical syringe with a vaccine.
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Auf der Spur von neuen Impfstoffen

Gleich mehrere Forschungsgruppen bei Helmholtz Munich arbeiten an innovativen Impfstoffen. Zwei davon stehen kurz davor, eine entscheidende Hürde vor der Zulassung zu nehmen - Impfstoffe gegen das Epstein-Barr-Virus und Hepatitis B. Aber: Wie entwickelt man eigentlich einen Impfstoff?

Gleich mehrere Forschungsgruppen bei Helmholtz Munich arbeiten an innovativen Impfstoffen. Zwei davon stehen kurz davor, eine entscheidende Hürde vor der Zulassung zu nehmen. Aber: Wie entwickelt man eigentlich einen Impfstoff?

"Das Epstein-Barr-Virus ist ausgesprochen komplex"

Der Prozess, an dessen Ende eine spektakuläre Weltneuheit steht, beginnt mit einer komplizierten Abwägung. Prof. Dr. Wolfgang Hammerschmidt, renommierter Experte für das Epstein-Barr-Virus, überlegt, wie eine Impfung gegen die tückische Erkrankung aussehen könnte. „Einen Lebendimpfstoff, der in geringer Dosierung das Virus enthält, wollten wir nicht einsetzen, weil das Virus verschiedene Krebsarten auslösen kann“, erläutert er. Also ging er mit seiner Arbeitsgruppe einen anderen Weg: Sie entwickelten sogenannte Virus-ähnliche Partikel – eine Art perfekte Kopie des Erregers, die das menschliche Immunsystem auf die Virusabwehr trainiert.

Die Impfung, die daraus resultiert, soll jetzt nach den ersten Probeläufen zur Herstellung der Virus-ähnlichen Partikel in die klinische Erprobung gehen – die entscheidende Phase vor der endgültigen Zulassung als Medikament. Wenn alles klappt, wird die neue Impfung zu einem weiteren Kapitel in der Erfolgsgeschichte von Helmholtz Munich: der nächste Beleg dafür, wie aus der Grundlagenforschung direkt ein Nutzen für die Patient:innen erwächst und wie sich Erkenntnisse aus den Laboren in konkrete Therapien von Krankheiten umsetzen lassen.

Wolfgang Hammerschmidt wählte mit seinem Team einen Ansatz, den vor ihm noch niemand probiert hatte. „Das Epstein-Barr-Virus ist ausgesprochen komplex. Es besteht aus rund 60 viralen Proteinen, und wir wissen nicht, welche Kombination davon die beste Angriffsstelle für die Immunantwort bietet“, sagt er. Zum Vergleich: Das Corona-Virus hat nur vier virale Struktur-Proteine und ist in seinem Aufbau damit weniger komplex. „Wir wollten dem Virus die Zähne ziehen, ohne es in seinen Proteinkombinationen zu verändern“, erläutert Hammerschmidt. Mit seinem Team bildete er deshalb in den Virus-ähnlichen Partikeln die Struktur möglichst originalgetreu nach, inklusive einem Großteil der viralen Proteine.

"Das ist High-Level-Biotechnologie. Und es ist weltweit das erste Mal, dass ein Impfstoff auf dermaßen komplexen Virus-ähnlichen Partikeln beruht."

Prof. Dr. Wolfgang Hammerschmidt

Kampf gegen die „Kusskrankheit“

Das Epstein-Barr-Virus ist ein weitverbreitetes Herpesvirus, das aber heimtückisch wirken kann. Üblicherweise kommen Menschen schon als Säugling oder Kleinkind mit dem Virus in Kontakt, das sich dann im Körper einnistet, ohne eine Krankheit auszulösen. Wenn allerdings erst ein späterer Erstkontakt stattfindet – meistens in der Pubertät -, können die Folgen gravierend sein. Das Pfeiffersche Drüsenfieber, das dann häufig entsteht, löst wochenlanges Fieber aus und kann sogar zu einem monatelangen Erschöpfungssyndrom führen. „Kissing disease“ heißt das Pfeiffersche Drüsenfieber umgangssprachlich, weil es durch Tröpfcheninfektion übertragen wird – beim Küssen oder auch beim Geschlechtsverkehr, weshalb es bei Heranwachsenden besonders häufig auftritt. Die Viren stehen sogar im Verdacht, eine überschießende Immunantwort zu provozieren und damit eine Rolle in der Entstehung der Multiplen Sklerose zu spielen. Die Impfung, die Wolfgang Hammerschmidt und sein Team entwickelt, soll alle diese Folgen verhindern – und das wird immer drängender: In Deutschland steigt die Zahl der Patienten mit Multipler Sklerose, aber auch mit Pfeifferschem Drüsenfieber immer weiter an. Vermutlich liegt das daran, dass Säuglinge und Kleinkinder durch Hygienemaßnahmen seltener in Kontakt mit dem Virus kommen. Die Infektion während der Pubertät ist wesentlich gefährlicher und kann diese beiden Erkrankungen auslösen.

Hepatitis B: Eine mögliche Rettung für chronisch Erkrankte

Fast 300 Millionen Menschen tragen das Hepatitis-B-Virus als tickende Zeitbombe in sich – oft schon seit der Geburt. Prof. Dr. Ulrike Protzer arbeitet an einer sehnsüchtig erwarteten therapeutischen Impfung: Die soll Patient:innen mit chronischer Hepatitis B heilen können, und auch sie ist in einer entscheidenden Phase. Protzer erinnert sich noch an den Moment, als eine Mitarbeiterin in ihr Büro stürmte. Sie kam gerade aus dem Labor, wo sie sich um die Mäuse kümmert, die das Virus in sich tragen. „Sie rief: ‚Das Immunsystem hat das Virus eliminiert!’, und wir alle ahnten, dass wir einen entscheidenden Schritt weitergekommen sind“, sagt die Virologie-Professorin, die bei Helmholtz Munich forscht. Sie arbeitet mit ihrem Team an einem Impfstoff, der eigentlich eine Immuntherapie ist und von den vielen Betroffenen auf der ganzen Welt sehnsüchtig erwartet wird – und eine Besonderheit hat: Es ist ein therapeutischer Impfstoff, der dann verabreicht wird, wenn jemand bereits erkrankt ist. Und für Ulrike Protzer wäre es ein wichtiger Höhepunkt in ihrem Kampf gegen das Hepatitis-B-Virus, den sie schon seit vielen Jahren führt. TherVacB heißt der Impfstoff, den sie entwickelt hat und der jetzt in einem europaweiten Projekt in einer klinischen Studie erprobt werden soll.

Hepatitis B: Eine mögliche Rettung für chronisch Erkrankte

Die Ausgangslage: Als Schutz vor einer Infektion mit Hepatitis B gibt es zwar bereits eine Impfung, die Neugeborene in Deutschland im Rahmen ihrer Standardimpfungen verabreicht bekommen. Wer aber nicht geimpft ist oder das Virus von seiner Mutter erbt, kann schwer erkranken: Hepatitis B verursacht Leberzirrhose und Leberkrebs, weltweit sterben jedes Jahr rund 820.000 Menschen an den Folgen dieser Infektion. Ein Medikament, das die Krankheit heilt, gibt es bislang nicht.

Warum aber setzen Protzer und ihr Team ausgerechnet auf eine Impfung? „Es gibt Therapien, die direkt antiviral wirksam sind“, erläutert Ulrike Protzer. Diese Medikamente hemmen zum Beispiel die Virusvermehrung, aber das Hepatitis B Virus zieht sich dann geschickt zurück – auf seine Überlebensform im Kern infizierter Zellen. Dort liegen es jahrelang auf der Lauer, und sobald das Medikament abgesetzt wird, fängt das Virus von neuem an, sich zu vermehren. Und das Krebs-Risiko bleibt. Bei der Suche nach einer Therapie, die das Virus gänzlich ausheilt, setzt Ulrike Protzer deshalb auf das Prinzip der therapeutischen Impfung: Der Wirkstoff darin soll das körpereigene Immunsystem gezielt auf den Erreger trainieren, so dass er den Kampf dagegen aufnehmen kann – und ihn ein für alle Mal aus dem Körper eliminiert.

In diesem Video erklärt Ulrike Protzer den Unterschied zwischen einer Schutzimpfung und einer therapeutischen Impfung.

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Ein Baukasten für die Impfstoff-Forschung

Die Arbeit an solch einem Impfstoff gleicht einer jahrelangen systematischen Fahndung nach den richtigen Komponenten. „Am Anfang steht die Frage, gegen welche Teile des Virus wir eine Immunantwort induzieren möchten“, erläutert Ulrike Protzer: „Idealerweise wirkt ein Impfstoff nicht nur gegen ein konkretes Antigen, sondern gegen mehrere, damit das Virus der Immunantwort nicht ausweichen kann.“ Bei ihrem Impfstoff richtet sich das Design nicht nur gegen das Hüllprotein, sondern auch gegen das Kapsid und die inneren Proteine. Das Ziel ist es, dass dabei weltweit alle Virusvarianten abgedeckt sind, von Afrika über China bis nach Europa. „Wir selektieren die passenden Komponenten, zum Beispiel Nanopartikel, die aus viralen Strukturproteinen bestehen, mit oder ohne Wirkverstärker und verschiedene Impfvektoren, vergleichen sie zunächst einmal und kombinieren sie dann miteinander“, erklärt Protzer das Vorgehen.

Die Forscher:innen arbeiten nach dem Baukastenprinzip: Sie suchen genau jene Teile, die präzise an die vorgesehene Stelle passen. Statt spielerischer Leichtigkeit ist es aber eine hochkomplexe Forschungsarbeit: Mit dem Puzzle sind die Fachleute viele Jahre beschäftigt, und in dieser Zeit haben sie mehrere Patente angemeldet, weil sie immer wieder neue Methoden und Kombinationen entdeckt haben. Dass sie einen wichtigen Fortschritt gemacht hat, merkte Ulrike Protzer in dem Moment, als sie klinisch tätigen Kolleg:innen ihre Ergebnisse präsentierte: „Sie waren sehr beeindruckt und alle waren bereit, uns bei der klinischen Entwicklung mit ihren Patient:innen zu unterstützen.“

Die Herausforderung, einen komplexen Impfstoff vom Labor zur klinischen Zulassung zu führen, stellte sich für das kleine Team als anspruchsvoll heraus. Die Produktion nach „Good Manufacturing Practice“-Richtlinien bei Vertragsherstellern für jede der Impfstoffkomponenten erforderte gleichzeitig die Skalierung der Produktion, die Entwicklung eines umfassenden Katalogs von Qualitätskontrolltests gemäß dem Europäischen Arzneibuch und die Implementierung eines Stabilitätsprogramms. Jeder erforderliche Schritt muss streng überwacht werden und birgt Unabwägbarkeiten. Das macht die Unvorhersehbarkeit der Impfstoffentwicklung aus. Ungeahnte Hindernisse, einschließlich Ressourcen- und Materialengpässen aufgrund der COVID-19-Pandemie, erschwerten die Arbeit zusätzlich. Das Team bewies Durchhaltevermögen, immer im Bewusstsein, dass Millionen von chronischen Hepatitis-B-Patient:innen dringend auf eine Heilungsmöglichkeit warteten. Trotz vieler Herausforderungen erwiesen sich ihre Entschlossenheit, Anpassungsfähigkeit und Ausdauer als entscheidend, um den unberechenbaren Weg der Impfstoffentwicklung erfolgreich zu meistern. Dieser führte schließlich zum erfolgreichen Beginn der klinischen Studien.

Um die vielversprechenden Ergebnisse auf den Menschen zu übertragen, planen Ulrike Protzer und ihr Team nun die klinische Studienphase. „Wir sind unseren klinischen Partnern sehr dankbar, dass sie uns bei diesem letzten, entscheidenden Schritt so engagiert unterstützen, und die klinische Prüfung in ihren Verantwortungsbereich übernehmen!“, freut sich Ulrike Protzer. Wenn alle Tests erfolgreich verlaufen, steht ihr neuartiger Impfstoff gegen chronische Hepatitis B in weniger Jahren vor der Zulassung.

“Als Wissenschaftler ist dies ohne Frage ein ganz besonderer Moment für uns.“

Prof. Dr. Ulrike Protzer, Direktorin des Helmholtz Munich Instituts für Virologie

Letzte Aktualisierung: März 2024.