Skip to main content

Letzte Aktualisierung: October 2024.

Eine Welt ohne Diabetes Typ 1 Typ-1-Diabetes bei Kindern: Früherkennungstests als Regelversorgung?

Bei Helmholtz Munich forschen Wissenschaftler:innen daran, dass künftig kein Kind mehr neu an der Autoimmunerkrankung Typ-1-Diabetes erkranken muss.

Bei Helmholtz Munich forschen Wissenschaftler:innen daran, dass künftig kein Kind mehr neu an der Autoimmunerkrankung Typ-1-Diabetes erkranken muss.

Typ-1-Diabetes ist die häufigste Stoffwechselerkrankung im Kindes- und Jugendalter mit stark wachsenden Zahlen. In Deutschland ist etwa 1 von 250 Kindern und Jugendlichen davon betroffen. Fast 90 Prozent der erkrankten Kinder haben keine nahen Verwandten mit Typ-1-Diabetes. Die Erkrankung kann also jedes Kind treffen. Das Problem bei Typ-1-Diabetes ist, dass man ihn meist erst erkennt, wenn es bereits zu schweren und zum Teil auch lebensbedrohlichen Symptomen gekommen ist. Je mehr Kinder früh auf ein Diabetes-Risiko untersucht werden, umso besser können solche Situationen verhindert werden. Doch leider gibt es bis heute nur sehr wenige Studien, die dabei helfen.

Wenige Blutstropfen reichen für die Früherkennung von Typ 1 Diabetes aus

Eine, die sich dieses Problem zur Herzenssache gemacht hat, ist Anette-Gabriele Ziegler. Die Helmholtz Munich Wissenschaftlerin hat gemeinsam mit Kolleg:innen die Fr1da-Studie und damit das weltweit größte bevölkerungsweite Screening zur Typ-1-Diabetes-Früherkennung bei Kindern ins Leben gerufen. Seit 2015 haben Familien in Bayern dank Fr1da die Möglichkeit, Kinder im Alter von zwei bis zehn Jahren auf ein Frühstadium der Autoimmunkrankheit zu testen. Dafür benötigen die Wissenschaftler:innen nur wenige Blutstropfen des Kindes. Sind sogenannte Inselautoantikörper im Blut vorhanden, ist das ein Zeichen dafür, dass die Insulin-produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse entzündet sind. Diese Antikörper können bereits Jahre bevor es zu Symptomen kommt im Blut nachgewiesen werden.

Was ist Fr1da?

Die Fr1da-Studie untersucht anhand weniger Blutstropfen, ob bei einem Kind ein frühes Stadium des Typ-1-Diabetes vorliegt. Wenn dies der Fall sein sollte, kann die Erkrankung von Anfang an optimal behandelt und schwere Stoffwechselentgleisungen verhindert werden. Die Fr1da-Studie wird in den Bundesländer Bayern, Niedersachsen & Hamburg und Sachsen angeboten. Alle Kinder im Alter von 2 bis 10 Jahren können getestet werden. Die Teilnahme an der Typ-1-Diabetes Früherkennung ist freiwillig und kostenlos. Zusätzlich können Kinder von Verwandten mit Typ-1-Diabetes bundesweit im Alter zwischen 1 und 21 Jahren teilnehmen.

Typ-1-Diabetes: Ein lebenslanger Insulinmangel

Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmunkrankheit. Das bedeutet, dass das körpereigene Immunsystem, das in erster Linie der Abwehr krankmachender Keime dient, sich gegen die Insulin-produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse richtet und diese zerstört. In der Folge kommt es zum Ausbleiben der Insulinproduktion. Das Hormon Insulin hat die Aufgabe, den mit der Nahrung aufgenommenen Zucker aus dem Blut in die Zellen zu schleusen, die ihn zur Energiegewinnung benötigen. Bei Insulinmangel sammelt sich der Zucker im Blut an. Menschen mit Typ-1-Diabetes müssen deshalb Insulin spritzen, um weitreichende Gesundheitsprobleme durch zu hohe Blutzuckerwerte zu verhindern.

Früherkennung von Typ-1-Diabetes ermöglicht bessere Behandlung

Seit 2015 wurden über 200.000 Kinder in der Fr1da-Studie untersucht; bei 577 Kindern (0,3 Prozent) wurde ein Typ-1-Diabetes-Frühstadium diagnostiziert. Es ist davon auszugehen, dass von diesen Kindern die Hälfte innerhalb von fünf Jahren und etwa ein weiteres Drittel innerhalb von fünf bis zehn Jahren einen klinisch manifesten Typ-1-Diabetes entwickelt. Der Rest der Kinder mit Frühstadium (20%) benötigt nach zehn bis zwanzig Jahren eine Insulinbehandlung.

Um darauf gut vorbereitet zu sein, können die Eltern betroffener Kinder im Rahmen der Fr1da-Studie an einem Schulungsprogramm teilnehmen und früh an eine auf Typ-1-Diabetes spezialisierte Kinderarztpraxis oder Kinderklinik verwiesen werden. Zudem haben die Wissenschaftler:innen der Fr1da-Studie eine neue Methode entwickelt (Progressions-Wahrscheinlichkeits-Score), mit der es möglich ist, Kinder mit sehr schneller Krankheitsentwicklung zu erkennen – etwa 50 Prozent werden innerhalb von zwei Jahren insulinpflichtig. Der Stoffwechsel dieser Kinder kann so besser betreut werden, und sie können von einem frühen Beginn der Insulinbehandlung sowie gegebenenfalls von neuen Therapien profitieren. Die Forschung der letzten Jahrzehnte weist außerdem auf weitere Vorteile für den Krankheitsverlauf betroffener Kinder hin. Eine Diagnose, die bereits im symptomlosen Frühstadium der Erkrankung erfolgt, verringert das Auftreten von metabolischen Entgleisungen und Ketoazidosen während der klinischen Manifestation des Typ-1-Diabetes. Dadurch können neurokognitive Beeinträchtigungen   verhindert werden. Zudem ist eine Diagnose im Frühstadium mit einem milden Krankheitsbild und einer besser erhaltenen Insulin-Restsekretion verbunden, was zu einer verbesserten langfristigen Stoffwechselkontrolle sowie einer Vermeidung oder Verkürzung von Krankenhausaufenthalten führen kann.

Positionspapier fasst Vorteile der Früherkennung zusammen

Expertinnen und Experten der Fr1daPlex-Initiative, des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Bayern und des PaedNetz Bayern e.V. haben in einem neuen Positionspapier eine ausführliche Bewertung des Inselautoantikörper-Screenings zur Früherkennung von Typ-1-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland dargelegt. Sie fassen dabei die Erkenntnisse der Forschung zusammen und geben einen Überblick über die Vorteile potentielle Nachteile eines bevölkerungsweiten Screenings sowie über notwendige Schritte zur Implementierung eines bevölkerungsweiten Screenings.

Ein neues Positionspapier, veröffentlicht von Expertinnen und Experten der Fr1daPlex-Initiative, des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Bayern und des PaedNetz Bayern e.V., gibt eine ausführliche Bewertung eines Inselautoantikörper-Screenings zur Früherkennung von Typ-1-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Die Autorinnen und Autoren diskutieren den Nutzen dieses Screenings für die Allgemeinbevölkerung sowie mögliche Risiken. Das vollständige Positionspapier zur Früherkennung des Typ-1-Diabetes finden Sie hier:Achenbach, Peter et al.: Früherkennung von Typ-1-Diabetes durch Inselautoantikörper-Screening – ein Positionspapier der Fr1daPlex-Projektleiter und -Schulungszentren, des BVKJ Bayern und PaedNetz Bayern e.V. In: Das Gesundheitswesen, 2024 (online), DOI: 10.1055/a-2320-2859

Erstes Medikament zur Verzögerung von Typ-1-Diabetes in den USA verfügbar

Auch bei den Heilmitteln gibt es aussichtsreiche Ansätze, an denen Anette-Gabriele Ziegler mit ihrem Team mitgeforscht hat. Das Medikament Teplizumab sorgt dafür, dass die Zerstörung der Betazellen durch das körpereigene Immunsystem gemindert werden kann – die Autoimmunerkrankung kann dadurch um einige Jahre hinausgezögert werden.  Seit Ende 2022 ist das Medikament in den USA für Kinder ab acht Jahren zugelassen, bei denen ein Frühstadium (Stadium 2) von Typ-1-Diabetes diagnostiziert wurde. Damit Betroffene von Teplizumab profitieren können ist es  ist es also notwendig, den Typ-1-Diabetes zu erkennen, bevor bereits Symptome auftreten. Den Familien werden so im besten Fall einige sorglose Jahre geschenkt.  Die Zulassung wird momentan für die Europäische Union beantragt. Die Früherkennung kann Kinder identifizieren, die von solch einer Behandlung gesundheitlich profitieren.

Früherkennungstests kosten nur 22 Euro – für alle Kinder ermöglichen

Im Rahmen der Fr1da-Studie beliefen sich die Kosten pro Kind auf rund 28 Euro. Sollte das Screening in die medizinische Regelversorgung aufgenommen werden, gehen die Forschenden davon aus, dass sich der Betrag auf etwa 22 Euro pro untersuchtem Kind reduzieren könnte. Diese Kosten wollen die Forschenden nun mit dem Einsparpotenzial für das Gesundheitssystem durch die Vermeidung von Stoffwechselentgleisungen und deren Folgen gegenrechnen. Studienergebnisse zeigen auf, dass Kinder durch eine frühe Diagnose eine verbesserte Lebensqualität haben und ihre Eltern dabei weniger gestresst waren als bei einer klinischen Manifestation des Typ-1-Diabetes  ohne vorausgegangene Frühdiagnose.

Forschende fordern rasche Integration in Gesundheitssysteme

9 von 10 erkrankte Kinder haben keine nahen Verwandten mit Typ-1-Diabetes. Forschende wie Anette-Gabriele Ziegler und ihr Kollege Peter Achenbach fordern deshalb, dass die Früherkennung von Typ-1-Diabetes in Zukunft für alle Kinder in Deutschland möglich sein sollte. Sie arbeiten an einer Aufnahme des Tests in die Regelversorgung der Krankenkassen. Unterstützt werden sie unter anderem vom Deutschen Diabetiker Bund e. V.. Mit dem neuen Konsortium EDENT1FI gibt es nun außerdem eine europaweite, gemeinsame Initiative, die sich für einen flächendeckenden Zugang zu einer Früherkennung für Typ-1-Diabetes über Landesgrenzen hinaus einsetzt. Insgesamt sind 13 europäische Länder an der Initiative beteiligt, die von der KU Leuven in Belgienund Helmholtz Munich koordiniert wird. Basierend auf dem Modell der Fr1da Studie werden so aktuell neue Screeningprojekte in Italien, Tschechien, Polen und Portugal ins Leben gerufen. Neben dem Projekt aus Deutschland bringen auch bereits etablierte Projekte aus Dänemark, Schweden und der UK ihre Expertise in das Konsortium ein.

Hier befindet sich ein Video von Vimeo. Mit Ihrer Zustimmung wird eine Verbindung zu Vimeo aufgebaut. Vimeo setzt gegebenenfalls auch Cookies ein. Für weitere Informationen klicken Sie. hier .
Auf Werbeinhalte, die vor, während oder nach Videos von Helmholtz Munich eingeblendet werden, hat Helmholtz Munich keinen Einfluss. Wir übernehmen keine Gewähr für diese Inhalte. Weitere Informationen.

Die Wissenschaftler:innen

Portrait Peter Achenbach

Prof. Dr. med. Peter Achenbach

Stellvertretender Institutsdirektor, Leitender Wissenschaftler Forschungsbereich: Studienzentrum für Diabetes bei Kindern - Klinische Studien zur Prävention und Immunintervention
[Translate to German:]

Univ.-Prof. Dr. med. Anette-Gabriele Ziegler

Institutsdirektorin, Lehrstuhl für Diabetes und Gestationsdiabetes, Klinikum rechts der Isar und Technische Universität München, Direktorin Globale Plattform zur Prävention des Autoimmunen Diabetes (GPPAD) Profil anzeigen