Diabetes bei Kindern Früherkennungstests für eine Welt ohne Typ-1-Diabetes
Bei Helmholtz Munich forschen Wissenschaftler:innen daran, dass künftig kein Kind mehr neu an der Autoimmunerkrankung Typ-1-Diabetes erkranken muss.
Bei Helmholtz Munich forschen Wissenschaftler:innen daran, dass künftig kein Kind mehr neu an der Autoimmunerkrankung Typ-1-Diabetes erkranken muss.
Typ-1-Diabetes ist die häufigste Stoffwechselerkrankung im Kindes- und Jugendalter mit stark wachsenden Zahlen. In Deutschland ist etwa 1 von 250 Kindern und Jugendlichen davon betroffen. Fast 90 Prozent der erkrankten Kinder haben keine nahen Verwandten mit Typ-1-Diabetes. Die Erkrankung kann also jedes Kind treffen. Das Problem bei Typ-1-Diabetes ist, dass man ihn meist erst erkennt, wenn es bereits zu schweren und zum Teil auch lebensbedrohlichen Symptomen gekommen ist. Je mehr Kinder früh auf ein Diabetes-Risiko untersucht werden, umso besser können solche Situationen verhindert werden. Doch leider gibt es bis heute nur sehr wenige Studien, die dabei helfen.
Wenige Blutstropfen reichen für die Früherkennung aus
Eine, die sich dieses Problem zur Herzenssache gemacht hat, ist Anette-Gabriele Ziegler. Die Helmholtz Munich Wissenschaftlerin hat gemeinsam mit Kolleg:innen die Fr1da-Studie und damit das weltweit größte bevölkerungsweite Screening zur Typ-1-Diabetes-Früherkennung bei Kindern ins Leben gerufen. Seit 2015 haben Familien in Bayern dank Fr1da die Möglichkeit, Kinder im Alter von zwei bis zehn Jahren auf ein Frühstadium der Autoimmunkrankheit zu testen. Dafür benötigen die Wissenschaftler:innen nur wenige Blutstropfen des Kindes. Sind sogenannte Inselautoantikörper im Blut vorhanden, ist das ein Zeichen dafür, dass die Insulin-produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse entzündet sind. Diese Antikörper können bereits Jahre bevor es zu Symptomen kommt im Blut nachgewiesen werden.
Typ-1-Diabetes: Ein lebenslanger Insulinmangel
Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmunkrankheit. Das bedeutet, dass das körpereigene Immunsystem, das in erster Linie der Abwehr krankmachender Keime dient, sich gegen die Insulin-produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse richtet und diese zerstört. In der Folge kommt es zum Ausbleiben der Insulinproduktion. Das Hormon Insulin hat die Aufgabe, den mit der Nahrung aufgenommenen Zucker aus dem Blut in die Zellen zu schleusen, die ihn zur Energiegewinnung benötigen. Bei Insulinmangel sammelt sich der Zucker im Blut an. Menschen mit Typ-1-Diabetes müssen deshalb Insulin spritzen, um weitreichende Gesundheitsprobleme durch zu hohe Blutzuckerwerte zu verhindern.
Früherkennung ermöglicht bessere Behandlung
In den ersten vier Jahren der Fr1da-Studie wurden insgesamt 90.632 Kinder in Bayern untersucht; bei 280 Kindern (0,31 Prozent) wurde ein Typ-1-Diabetes-Frühstadium diagnostiziert. Es ist davon auszugehen, dass von diesen Kindern die Hälfte innerhalb von fünf Jahren und etwa ein weiteres Drittel innerhalb von fünf bis zehn Jahren einen klinisch manifesten Typ-1-Diabetes entwickelt. Der Rest der Kinder mit Frühstadium (20%) benötigt nach zehn bis zwanzig Jahren eine Insulinbehandlung.
Um darauf gut vorbereitet zu sein, können die Eltern betroffener Kinder im Rahmen der Fr1da-Studie an einem Schulungsprogramm teilnehmen. Sie werden schrittweise mit der Insulintherapie vertraut gemacht und früh an eine auf Typ-1-Diabetes spezialisierte Kinderarztpraxis oder Kinderklinik verwiesen. Zudem haben die Wissenschaftler der Fr1da-Studie eine neue Methode entwickelt (Progressions-Wahrscheinlichkeits-Score), mit der es möglich ist, Kinder mit sehr schneller Krankheitsentwicklung zu erkennen – etwa 50 Prozent werden innerhalb von zwei Jahren insulinpflichtig. Der Stoffwechsel dieser Kinder kann so besser betreut werden, und sie können von einem frühen Behandlungsbeginn sowie gegebenenfalls von neuen Therapien profitieren.
Die Forschenden von Helmholtz Munich untersuchen in verschiedenen Präventionsstudien, ob das Immunsystem der Kinder durch verschiedene Therapien, wie beispielsweise durch die Einnahme von Insulinpulver, reguliert werden kann. So soll in Zukunft die Entstehung der Autoimmunkrankheit verhindert oder hinausgezögert werden.
Auch bei den Heilmitteln gibt es aussichtsreiche Ansätze, an denen Anette-Gabriele Ziegler mit ihrem Team mitgeforscht hat. Das Medikament Teplizumab sorgt dafür, dass die Zerstörung der Betazellen durch das körpereigene Immunsystem gemindert werden kann – die Autoimmunerkrankung kann dadurch um einige Jahre hinausgezögert werden. Die Zulassung wird momentan für die Vereinigten Staaten beantragt. Die Früherkennung kann Kinder identifizieren, die von solch einer Behandlung gesundheitlich profitieren.
Früherkennungstests kosten nur 22 Euro – für alle Kinder ermöglichen
9 von 10 erkrankten Kindern haben keine nahen Verwandten mit Typ-1-Diabetes. Forschende wie Anette-Gabriele Ziegler und ihr Kollege Peter Achenbach fordern deshalb, dass die Früherkennung von Typ-1-Diabetes in Zukunft für alle Kinder in Deutschland möglich sein soll. Sie wollen eine Aufnahme der Tests in die Regelversorgung der Krankenkassen.
Im Rahmen der Fr1da-Studie beliefen sich die Kosten pro Kind auf rund 28 Euro. Sollte das Screening in die medizinische Regelversorgung aufgenommen werden, gehen die Forschenden davon aus, dass sich der Betrag auf etwa 22 Euro pro untersuchtem Kind reduzieren könnte. Diese Kosten wollen die Forschenden nun mit dem Einsparpotenzial für das Gesundheitssystem durch die Vermeidung von Stoffwechselentgleisungen und deren Folgen gegenrechnen. Studienergebnisse zeigen auf, dass Kinder durch eine frühe Diagnose eine verbesserte Lebensqualität haben und ihre Eltern dabei weniger gestresst waren als bei einer Diagnose ohne vorausgegangenen Frühdiagnose.
Letzte Aktualisierung: August 2022.