Klinische Sicherheit eines Dreifach-Darmhormon Ko-Agonisten: Die Zukunft der Adipositastherapie?
Die Entdeckung der Doppel- und Dreifach-Darmhormon-Ko-Agonisten durch Matthias Tschöp und Richard DiMarchi hat zu einer Reihe neuer Therapeutika in klinischer Entwicklung geführt. Der erste Ko-Agonist an den Rezeptoren für GLP-1 und GIP wurde kürzlich von der FDA zur Behandlung von Typ-2-Diabetes zugelassen und verbessert das Körpergewicht und den Glukosestoffwechsel bei höherer Sicherheit und Wirksamkeit als GLP-1 Monotherapien. Während GIP/GLP-1 Ko-Agonisten derzeit zu den besten Medikamenten für die Behandlung von Adipositas und Diabetes gehören, bleibt zu klären, ob ihre positive Wirkung auf den Stoffwechsel noch weiter verstärkt werden kann, beispielsweise durch die Verwendung von Triagonisten, welche, neben den Rezeptoren für GLP-1 und GIP, auch am Glukagon-Rezeptor wirken. Die vorhandenen präklinischen Daten deuten zwar darauf hin, doch muss dieses zusätzliche Potenzial erst noch klinisch validiert werden. Timo Müller, geschäftsführender Direktor und Leiter der Abteilung Molekulare Pharmakologie am Institut für Diabetes und Adipositas bei Helmholtz Munich, und Matthias Tschöp, CEO und wissenschaftlicher Geschäftsführer von Helmholtz Munich, haben die jüngste klinische Studie von Eli Lilly genauer unter die Lupe genommen – ihre Perspektive wurde jetzt in The Lancet veröffentlicht.
Adipositas und Diabetes Typ 2 stellen eine große gesundheitliche Bedrohung für unsere Gesellschaft dar – mehr als eine Milliarde Menschen leiden weltweit an diesen Erkrankungen. Wirksame Therapien sind dringend erforderlich. Polyagonisten wurden entwickelt, um die positiven Wirkungen mehrerer unabhängiger Hormone in einem einzelnen Molekül mit erhöhter Wirksamkeit und nachhaltiger Wirkung zu kombinieren. Diese synthetischen „Master-Moleküle“ wirken gleichzeitig über mehrere spezifische Rezeptoren im Gehirn und in der Peripherie und verbessern so den Stoffwechsel über das hinaus, was durch Aktivierung nur eines einzelnen Rezeptors allein möglich ist. Triple-Agonisten beispielsweise aktivieren die Signalwege der Hormone GIP, GLP-1 und Glukagon. Die Ergebnisse zeigen, ähnlich wie bei so ziemlich allen derzeit berichteten Studien mit Polyagonisten: Der Appetit kann stark gebremst, die Insulinausschüttung intensiv gefördert und die Fettverbrennung deutlich gesteigert werden – was die Darmhormon-Polyagonisten zu game changer bei der Behandlung von Adipositas und Diabetes Typ 2 machen.
Die derzeit am besten untersuchten unimolekularen Ko-Agonisten sind die GIP/GLP-1 Ko-Agonisten, die von Matthias Tschöp in enger Zusammenarbeit mit dem Peptidchemiker Richard DiMarchi entwickelt wurden. Eine erste Version dieser Wirkstoffklasse wurde kürzlich in den USA als Medikament zugelassen: Dieser GIP/GLP-1 Ko-Agonist heißt Tirzepatid (Mounjaro®) und wird von Eli Lilly in Indianapolis, USA, hergestellt. Tirzepatid senkt das Körpergewicht um durchschnittlich 22%, ein weitaus größerer Gewichtsverlust, als er bisher mit jeder sicheren medikamentösen Behandlung möglich war. Ob der klinische Erfolg des GLP-1/GIP Ko-Agonisten durch die Wirkstoffklasse des GLP-1/GIP/Glukagon Triagonisten, einer weiteren Entdeckung von Tschöp und DiMarchi, noch einmal übertroffen werden kann, muss sich erst noch zeigen.
In der aktuellen Ausgabe von The Lancet berichten Urva und Kolleg:innen über klinische Studiendaten aus einer Phase-1b-Studie zu einem neuartigen GIP/GLP-1/Glukagon-Triagonisten. In ihrem Kommentar fassen Müller und Tschöp die Ergebnisse der Publikation zusammen: Der Tragonist wurde gut vertragen, bei vergleichbarer Sicherheit, aber verbesserter Wirksamkeit im Vergleich zur GLP-1-Monotherapie. Auch wenn ein direkter Vergleich mit Tirzepatid im Studiendesign nicht vorgesehen war, zeigen die Ergebnisse dennoch, dass eine Dreifachkombination aus Glukagon, GLP-1 und GIP zu einer weiteren Senkung des Körpergewichts und einer Verbesserung des Blutzuckerspiegels beitragen kann. Ob ein Triagonist die vorteilhaften Wirkungen von Tirzepatid tatsächlich verstärken kann, wie dies in präklinischen Modellen angedeutet wurde, muss in weiteren Studien gezeigt werden.
Vollständiger Kommentar in The Lancet: https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(22)02350-9/fulltext
Über die Wissenschaftler:
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Matthias H. Tschöp ist CEO und wissenschaftlicher Geschäftsführer von Helmholtz Munich.
PD Dr. rer. nat. Timo Müller ist geschäftsführender Direktor und Leiter der Abteilung Molekulare Pharmakologie am Institut für Diabetes und Adipositas bei Helmholtz Munich.