Neue Studie will Entstehung von Typ-1-Diabetes bei Kindern verhindern
Typ-1-Diabetes ist die weltweit häufigste Stoffwechselerkrankung bei Kindern und Jugendlichen. Oftmals wird sie erst erkannt, wenn bereits schwerwiegende bis lebensbedrohliche Symptome vorliegen. Die neue „Sint1a“-Studie untersucht, ob die Einnahme des Probiotikums Bifidobacterium Infantis die Entstehung von Typ-1-Diabetes bei Kindern mit erhöhtem genetischen Risiko verhindern kann. Sint1a ist ein internationales Forschungsprojekt unter der Leitung des Helmholtz Zentrums München und Teil der GPPAD-Initiative.
Die Wahrscheinlichkeit bis zum 18. Lebensjahr an Typ-1-Diabetes zu erkranken liegt bei etwa 1 zu 300. Rund 90 Prozent der betroffenen Kinder und Jugendliche haben keinen nahen Verwandten mit der Autoimmunkrankheit, weshalb die Diagnose oft überraschend kommt. Bei Personen mit Typ-1-Diabetes zerstört das Immunsystem die insulinproduzierenden Zellen in den „Inseln“ der Bauchspeicheldrüse. Betroffene müssen sich ein Leben lang Insulin spritzen. Insulin hat eine lebenswichtige Funktion: Es transportiert den Zucker aus dem Blut in die Körperzellen. Meist ist das körpereigene Insulin das erste Ziel der Immunreaktion, die zu Typ-1-Diabetes führt.
Das Immunsystem mit Probiotika aufputschen
In frühen Stadien von Typ-1-Diabetes treten sogenannte Inselautoantikörper im Blut auf. Sie sind ein Anzeichen dafür, dass das Immunsystem die insulinproduzierenden Zellen angreift. Aus früheren Studien wissen die Forschenden, dass die Darmflora bei Kindern, die diese Antikörper entwickeln, gestört sein kann. Die neue Sint1a-Studie zielt darauf ab, das Auftreten von Inselautoantikörpern bei Kindern mit einem erhöhten genetischen Risiko für Typ-1-Diabetes zu verhindern. Dazu wird ihnen das Probiotikum Bifidobacterium Infantis (aktiviertes B. infantis EVC001) zusammen mit der täglichen Nahrung verabreicht. Dies soll eine gesunde und ausgewogene Entwicklung ihrer Darmflora unterstützen. Dadurch könnte das Immunsystem, noch bevor erste Anzeichen von Autoimmunität auftreten, positiv beeinflusst werden.
Sint1a baut auf eine andere Studie namens Point auf. In der Point-Studie erhalten Kinder Insulinpulver, das ebenfalls gemeinsam mit der Nahrung verabreicht wird. Ziel ist es, das Immunsystem frühzeitig zu trainieren und zu für Insulin sensibilisieren, damit keine Autoimmunität gegen das Hormon entsteht. „Wir gehen davon aus, dass das Immunsystem der Mund- und Darmschleimhaut für die Prävention von Krankheiten wie Typ-1-Diabetes eine wichtige Rolle spielt. Die Point-Studie nutzt den Darm (wo das Insulinpulver ankommt), um das Immunsystem mit Insulin vertraut zu machen und eine Autoimmunreaktion dagegen zu verhindern.
Sint1a basiert auf dem Wissen, dass eine gesunde Darmflora Entzündungen reduziert und dies dem Immunsystem hilft, gefährliche Antigene von ungefährlichen zu unterscheiden“, erklärt Studienleiterin Anette Ziegler*. Auf diese Weise will die Sint1a-Studie die Wahrscheinlichkeit verringern, dass Kinder mit einem hohen genetischen Risiko für Typ-1-Diabetes, Immunreaktionen auslösen, die zu einer Autoimmunität führen. „Sollten die Ergebnisse beider Studien erfolgreich sein“, erklärt Ziegler, „werden wir sie für eine optimierte synergistische Typ-1-Diabetes-Präventionsstrategie miteinander kombinieren. Typ-1-Diabetes wäre dann kein unausweichliches Schicksal mehr, sondern eine Krankheit, die wir mit den richtigen Maßnahmen verhindern können.
Die Sint1a-Studie läuft ab April 2021 in mehreren europäischen Ländern im Rahmen von GPPAD (Global Platform for the Prevention of Autoimmune Diabetes), einer internationalen Initiative zur Prävention von Typ-1-Diabetes. Die GPPAD-Forschungszentren in Belgien (Leuven), Deutschland (Dresden, Hannover, München), Großbritannien (Cambridge, Newcastle), Polen (Warschau) und Schweden (Malmö) liefern die dafür notwendige wissenschaftliche Infrastruktur. Internationale populationsbasierte Typ-1-Diabetes-Präventionsstudien wie diese sind weltweit einzigartig.
Voraussetzung: Früherkennungstest für Typ-1-Diabetes-Risiko
Die Teilnahme an den Sint1a- und Point-Studien erfordert den Nachweis eines erhöhten genetischen Typ-1-Diabetes-Risikos. Ein Früherkennungstest ermöglicht es, dieses Risiko lange vor der Manifestation der Krankheit zu bestimmen. Der Test kann mit wenigen Blutstropfen innerhalb der ersten 7 Lebenstage durchgeführt werden. Anette Ziegler und ihr Team haben dazu im Jahr 2016 eine Screening-Studie ins Leben gerufen, die in Deutschland unter dem Namen „Freder1k“ läuft. „Innerhalb des länderübergreifenden GPPAD-Netzwerks konnten wir bereits 245.000 Babys untersuchen. Bei 1,15 Prozent haben wir ein erhöhtes genetisches Risiko festgestellt. Die Früherkennung ist das A und O, um sinnvolle Präventionsmaßnahmen zu ergreifen“, sagt Ziegler.
Forschung für eine Welt ohne Typ-1-Diabetes
Der amerikanische Leona M. und Harry B. Helmsley Charitable Trust finanziert die Sint1a-Studie und die Weiterführung der etablierten Freder1ik-Studie mit mehr als 30 Millionen US-Dollar. „Helmsley fördert visionäre Ideen“, sagte Dr. Anne Koralova, Programmbeauftragte bei Helmsley. „GPPAD ist eine unserer größten Investitionen. Die Initiative ist erfolgsversprechend und ein Paradebeispiel guter internationaler Zusammenarbeit, die für wissenschaftlichen Durchbruch unabdingbar ist.“
*Prof. Anette-Gabriele Ziegler ist Direktorin des Instituts für Diabetesforschung am Helmholtz Zentrum München und Inhaberin des Lehrstuhls für Diabetes und Gestationsdiabetes am Universitätsklinikum der TUM, Klinikum rechts der Isar. Sie hält außerdem eine Honorarprofessur für Diabetologie an der Fakultät für Medizin der Technischen Universität Dresden.
Weitere Informationen über Sint1a
Um teilzunehmen dürfen die Kinder nicht älter als sechs Wochen sein. Die Hälfte der Teilnehmenden wenden Bifidobacterium Infantis (B. infantis EVC001) erhalten, die andere Hälfte ein Placebo. Eltern können ihre Kinder kostenlos in einem GPPAD-Testzentrum anmelden: www.gppad.org/de/studienzentren/
Über alle Studien
Sint1a, Point und die Screening-Studie sind Teil von GPPAD. Alle GPPAD-Studien werden vom Helmholtz Zentrum München geleitet. Daten aus den GPPAD-Studien sollen dem wissenschaftlichen Fortschritt dienen und letztendlich den Betroffenen zugutekommen. Daher stellt GPPAD der wissenschaftlichen Gemeinschaft auf Anfrage pseudonymisierte Daten und Proben aus der Biodatenbank zur Verfügung.
Überblick zu allen GPPAD-Studien: www.gppad.org/de