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©Helmholtz Munich / M. Khan Mirzaei

Phagen: Vielversprechende Therapeutika

New Research Findings, VIRO,

Darmbakterien sind für die menschliche Gesundheit von zentraler Bedeutung. Sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Immunregulation, dem Schutz vor Krankheitserregern, dem Nahrungsstoffwechsel, dem metabolischen Abbau von Medikamenten und bei der Vitaminsynthese. Neben Bakterien sind die sogenannten Bakteriophagen, kurz Phagen, ebenfalls wichtige Akteure im Darm. Für die Wissenschaft gibt es auf diesem Gebiet noch vieles zu erforschen.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, dass Phagen wesentlich an der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts im Darm (der Homöostase) beteiligt sind. Sie nehmen an, dass Phagen die komplexen mikrobiellen Netzwerke in diesem Lebensraum regulieren – so auch Li Deng und Mohammadali Khan Mirzaei vom Institut für Virologie am Helmholtz Zentrum München, die sich beide der Forschung an Phagen verschrieben haben. Ein besseres Verständnis darüber, wie genau Phagen die mikrobiellen Netzwerke im menschlichen Körper regulieren, könnte den Weg für die Entwicklung neuartiger phagenbasierter Therapien ebnen. Diese könnten bei Erkrankungen im Zusammenhang mit einer gestörten Darmflora (Darmdysbiose) oder zur Behandlung komplizierter Infektionen durch multiresistente Bakterien eingesetzt werden.

In einem kurzen Interview geben Li Deng und Mohammadali Khan Mirzaei Einblick in ihre Forschung.

Warum sind Darmphagen für die Forschung so spannend?

Li: Phagen sind Viren, die Bakterien als Wirt nutzen. Sie sind wahrscheinlich die am häufigsten vorkommenden, vielfältigsten und am wenigsten erforschten Mitglieder jedes Ökosystems. Der menschliche Darm ist keine Ausnahme. In der Umwelt spielen Phagen eine bedeutende Rolle für die mikrobielle Vielfalt. Sie können sogar den bakteriellen Stoffwechsel umprogrammieren. Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass Phagen im menschlichen Körper von ähnlicher Bedeutung sind. Da Phagen ihre Wirtsbakterien auch infizieren und ausrotten können, sind sie für viele therapeutische Anwendungen potenziell von Interesse. 

Du hast eine neue Technologie zur Identifizierung der Beziehungen zwischen Wirt und Phagen entwickelt, das so genannte „Viral Tagging“. Was ist das genau?

Li: Viral Tagging ist eine zellkulturfreie Hochdurchsatz-Methode zur Untersuchung von Phagen-Bakterien-Interaktionen auf Zellebene. Es ist eine sehr komplexe Technologie, aber sie ermöglicht es uns, Bakterien und dazugehörige Phagen von nicht-infizierten Zellen und Phagen zu unterscheiden.

Was konntet ihr mithilfe von Viral Tagging bereits herausfinden?

Li: Wir haben 363 unterschiedliche Bakterien-Phagen-Paare im menschlichen Darm entdeckt – die meisten von ihnen waren neuartige Darmphagen, die bekannte Bakterien als Wirte infizierten. Zusammen mit der Gruppe von Phil Hugenholtz am Australischen Zentrum für Ökogenomik fanden wir heraus, dass die Mehrzahl der bakteriellen Wirte von mehr als nur einem Phagen befallen wird. Dies zeigt, wie komplex die Beziehung zwischen Bakterien und Phagen im menschlichen Darm ist! Spannend ist auch, dass wir Infektionsmuster von bisher unbekannten Phagen entdeckten, welche Bakterien infizieren, die Butyrat – eine bevorzugte Energiequelle für Epithelzellen – produzieren. Ein Mangel an diesen spezifischen Bakterien wurde bisher mit mehreren Krankheiten in Verbindung gebracht, beispielsweise Typ-2-Diabetes. 

Phagen könnten zur Manipulation des menschlichen Mikrobioms eingesetzt werden, um Krankheiten zu behandeln, richtig?

Mohammadali: Das stimmt, zum Beispiel bei Stunting Disease. Stunting ist eine schwere Wachstumsstörung aufgrund von Unterernährung. Die Erkrankung betrifft weltweit 22 Prozent aller Kinder unter 5 Jahren. Sie trifft vor allem in Ländern auf, in denen Kinder keinen regelmäßigen Zugang zu nährstoffreicher oder ausgewogener Ernährung haben. Wir wussten bereits, dass es einen Zusammenhang zwischen einer Veränderung der Darmmikrobiota und Stunting gibt. Die Rolle der Phagen daran wurde jedoch noch nicht untersucht. In einer Zusammenarbeit unter der Leitung von Corinne Maurice an der McGill University Canada fanden wir heraus, dass Kinder mit Stunting im Vergleich zu nicht-betroffenen Kindern tatsächlich unterschiedliche Phagen im Darm aufwiesen. In vitro sahen wir, dass diese spezifischen Phagen die Anzahl und Zusammensetzung von Bakterien, die mit Stunting in Verbindung stehen, regulieren können. Deshalb vermuten wir, dass Phagen tatsächlich eine Rolle in der Pathophysiologie von Stunting Disease spielen. Außerdem konnten wir beobachteten, dass verschiedene Bakterien-Phagen-Interaktionen abhängig vom Alter des Kindes sind. Diesen Effekt müssen wir noch weiter erforschen. Letztlich ist es unser Ziel, ein mögliches Interventionsfenster für eine Phagen-basierte Behandlung von Stunting definieren zu können. 

Was sind eurer Meinung nach die nächsten Schritte in der Phagen-Forschung?

Li: Es gibt noch viele Unbekannte. Wir wissen nur wenig über das Zusammenspiel von Phagen mit ihren Wirten im klinischen Kontext. Fortschritte in der Technologie für Einzelzellanalysen und eine enge Zusammenarbeit mit Ärzten lassen jedoch darauf hoffen, dass wir bereits in naher Zukunft die komplexen Interaktionen zwischen Phagen und Wirten besser verstehen werden. Nur so können wir künftig Phagentherapien erfolgreich einsetzen. Diese könnte uns helfen, im Krankheitsfall in das komplexe bakterielle Ökosystem des Menschen einzugreifen und das Mikrobiom so zu manipulieren, damit es gesünder wird. Außerdem könnten Phagen der Schlüssel zur Behandlung antibiotikaresistenter bakterieller Infektionen sein.

Originalpublikationen

M. Khan Mirzaei et al, 2020: Bacteriophages Isolated from Stunted Children Can Regulate Gut Bacterial Communities in an Age- Specific Manner. Cell Host & Microbe, DOI: 10.1016/j.chom.2020.01.004

M. Dzunkova et al., 2019: Defining the human gut host-phage network through single-cell viral tagging. Nature Microbiology, DOI: 10.1038/s41564-019-0526-2 

L. Deng et al., 2014: Viral tagging reveals discrete populations in Synechococcus viral genome sequence space. Nature, DOI: 10.1038/nature13459

Weitere Informationen: Using viruses to fight resistant bacteria