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Helmholz Munich | Matthias Tunger Photodesign

Transfer „Eine Gründung kann ein ebenso großer Erfolg sein wie ein Leibniz-Preis!“

Matthias Tschöp, der CEO von Helmholtz Munich, im Gespräch über den Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Praxis, über ambitionierte Zielmarken – und darüber, welche Ideen aus seiner Zeit in Amerika er jetzt in München umsetzen will.

Matthias Tschöp, der CEO von Helmholtz Munich, im Gespräch über den Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Praxis, über ambitionierte Zielmarken – und darüber, welche Ideen aus seiner Zeit in Amerika er jetzt in München umsetzen will.

Herr Tschöp, gab es für Sie ein Aha-Erlebnis, bei dem Sie erstmals auf die Bedeutung des Themas Transfer aufmerksam geworden sind?

MT: Ich habe das Thema zum ersten Mal wahrgenommen, als ich nach meinem Studium in einer Doppelrolle als Arzt an der Universitätsklinik und zugleich auch als Wissenschaftler tätig war. Aus dieser Zeit kenne ich den Enthusiasmus, dass man mit seiner Forschung etwas gegen das Leid von Patienten beitragen kann – und zum anderen auch die Frustration, dass hochspannende Entdeckungen steckenbleiben: Da kommt es zu einer Publikation oder zu der Vorstellung auf einem Kongress, aber dann geht es mit der Forschung nicht weiter. Das war einer der Gründe dafür, dass ich in die USA gegangen bin. Dort läuft der Prozess von der Forschung in die Anwendung deutlich schneller.

Sie waren dort im mittleren Westen unter anderem bei einer Pharmafirma tätig.

MT: Genau, das war eine bewusste Entscheidung: Ich wollte lernen, wie das funktioniert – wie sich die gesamte Kette vom Labor bis hin zum Patientenbett gestalten lässt. Die Möglichkeiten, die ich dort kennengelernt habe, fand ich auch tatsächlich spektakulär.

Welche Weichen sind denn in den USA anders gestellt, dass dort Dinge gelingen, die hier schwierig sind?

MT: Es ist dort viel, viel mehr Geld in Umlauf und die Investoren sind oftmals bereit, größere Risiken einzugehen. Denn natürlich werden Investoren, die in einem frühen Stadium viel Geld in medizinische Forschung stecken, immer wieder auch Verluste machen. In den USA lassen die sich allerdings steuerlich abschreiben, in Deutschland nicht. Das ist für mich ein Beispiel dafür, wie die Kulturen anders ticken. Die amerikanische Mentalität, gepaart mit pragmatischer Schnelligkeit und größerer Risikofreude, erzeugt ein richtiges „Yes, we can-Gefühl“.

Wie wirkt sich dieses Gefühl auf die Wissenschaft aus?

MT: Es ist enorm inspirierend. Wissenschaft soll ja Herausforderungen annehmen, die schier unmöglich erscheinen – das, was die Amerikaner als Moonshot bezeichnen. Ein Beispiel aus dem Bereich der Diabetestherapie: In meiner USA-Zeit hatte ich an der Idee geforscht, zur Therapie mit den sogenannten Dualen Rezeptoragonisten und Triagonisten zu arbeiten. Nach allem, was man dazu in den Lehrbüchern fand, hätte dieser Ansatz gar nicht funktionieren dürfen. Es gab damals, trotz aller Unkenrufe, genügend Mitstreiter, die sich mit Motivation und Schwung in die Aufgabe gestürzt haben. Mehr als zwei Jahrzehnte liegt die Entdeckung zurück, heute ist das erste Medikament zugelassen und ein weiteres ist auf dem Weg. Ich bin mir sicher: Das wäre in Deutschland nicht möglich gewesen, weil man sich nicht getraut hätte, etwas vermeintlich Unmögliches anzupacken.

 

Sie sagen das in der Vergangenheitsform. Hat sich daran heute etwas geändert?

MT: Wir sind in einem stetigen Kulturwandel. Heute spürt man in Deutschland eine Aufbruchstimmung, den Transfer zu beschleunigen. Und jetzt spreche ich für uns bei Helmholtz Munich: Mein Eindruck ist, dass Vorbilder wie etwa die Biontech-Gründer bei vielen unserer akademischen Top-Kolleginnen und Kollegen einige Gedanken angestoßen haben. Manche sahen sich ausschließlich als Spitzenforscher, aber das Unternehmerische wollten sie lieber anderen überlassen. Biontech ist ein tolles Beispiel dafür, was alles heute auch in Deutschland möglich ist.

Was waren bei Helmholtz Munich die Meilensteine hin zu diesem Kulturwandel, den Sie andeuten?

MT: Meine Idee war es, vieles aus den USA nach Deutschland mitzunehmen, als ich 2011 wieder zurückgekehrt bin: ich wollte die Struktur aufbrechen, die gerade in der Medizin mit ihren Oberärzten und Professoren und Lehrstühlen sehr hierarchisch geprägt ist. Da wird traditionell stark von oben vorgegeben, wer woran forscht und wer was machen darf. Ich will gern der Jugend eine größere Chance geben – und damals als Direktor des Instituts für Diabetes und Adipositas und jetzt als CEO von Helmholtz Munich habe ich dazu die Gelegenheit. Auch, wenn die Änderungen natürlich erstens länger dauern, als ich anfangs gedacht hätte, und man dabei zweitens immer wieder an Grenzen stößt.

Welche Grenzen sind das – geht es da nur um die begrenzten Wagniskapital-Mittel?

MT: Die größeren Probleme hängen mit der Bürokratie zusammen. Die Vielzahl an Vorgaben, die Dokumentationspflichten, die Gremien, die Prozesse – wir müssen von Jahr zu Jahr mehr Papier bedrucken, um dem allem gerecht zu werden. Das ist eine unheimliche Bremse. Es gibt aber auch etwas, das wir in unserem ureigenen Bereich ändern müssen, nämlich in der Wissenschaft.

Woran denken Sie?

MT: Wir müssen die Messlatte für die Forscherinnen und Forscher verändern: Es muss eine Übereinkunft geben, dass die Gründung eines Start-ups und das Erreichen einer klinischen Studie mit einem neuen Wirkstoff genauso ein großer Erfolg sind wie ein Leibniz-Preis oder ein Nature-Paper. Die Qualität der Spitzenforschung muss aber weiterhin sehr hoch sein, das ist natürlich die Grundvoraussetzung für alles Weitere.

Was tun Sie denn konkret bei Helmholtz Munich, um Ihren Gestaltungsspielraum zu nutzen?

MT: Denken Sie nur an unseren Pioneer Campus: Da haben wir die Chance, die besten Köpfe der Welt zu uns nach München zu holen – und die bringen einen ganz neuen Zugang mit. Jeder von ihnen verbindet unterschiedliche Disziplinen miteinander; Forscherinnen zum Beispiel, die zur Künstlichen Intelligenz arbeiten, sie aber gezielt auf Biomedizin anwenden und dafür wiederum eine neue Technologie entwickeln. Das sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, bei denen man gar nicht mehr genau sagen kann, ob sie jetzt Chemiker sind, Ingenieure oder Physiker. Ein zweiter Punkt: Wir treiben die Verknüpfung mit der Universitätsmedizin voran, damit wir näher an den Patienten sind und unsere Fragestellungen immer wieder in diesem Licht überprüfen können. Und dann gibt es noch ein Drittes: Wissen Sie, wieviele Mitarbeitenden es in der gesamten Helmholtz-Gemeinschaft im Bereich der Gesundheitsforschung gibt?

Nein, verraten Sie’s mir.

MT: Es sind rund 10.000 Mitarbeitende. Damit sind wir in Europa die größte und schlagkräftigste Entität zu diesem Thema. Aber den meisten geht es so wie Ihnen: Wir werden noch nicht als eine gemeinschaftliche Institution wahrgenommen, und das wollen wir künftig ändern. Weitere Ziele sind die Bündelung von Spitzenclustern und eine bessere Unterstützung von Wissenschaftlern in der Gründungsphase, damit die Firmen es in den Anfangsjahren leichter haben, die Hürden zu überwinden. Wir haben dazu gemeinsam mit der ESMT in Berlin und der Life Science Factory eine Akademie gegründet, die Life Science Entrepreneurial Academy, in der wir die Führungspersönlichkeiten dafür ausbilden wollen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können dort einen Crashkurs belegen, der ihnen hilft, die nötigen unternehmerischen Fähigkeiten zu entwickeln.

Woran konkret wollen Sie messen, ob Sie bei Helmholtz Munich mit dem Thema Transfer erfolgreich umgehen?

MT: Quantitative Gradmesser sind ungemein schwierig. Die Zahl der Ausgründungen alleine ist mir zum Beispiel ein zu weicher Indikator, weil dahinter noch kein Erfolg steht. Geeigneter erscheint mir etwa der Blick darauf, wieviele Investoren wir überzeugt haben. Ein sehr guter Parameter ist auch die Zahl der Wirkstoffkandidaten, die es aus der Forschung in die klinischen Tests geschafft haben. Und dann gibt es noch den einen Faktor, der sich aber erst auf lange Frist messen lässt: die Erlöse. Das bedeutet, dass über Patente Geld zurückfließt an die Forschungseinrichtung. Diese Patente für Medikamente bringen den Patientinnen und Patienten ganz konkreten Nutzen. Top-Einrichtungen wie das Weizman-Institut in Israel oder auch die Universitäten in Stanford und Boston nehmen darüber viel Geld ein, das sie wiederum in leistungsfähigere Forschung investieren können. Ich glaube, dass die Gelder der öffentlichen Hand alleine in Zukunft nicht mehr ausreichen werden, um effizient und schnell genug Antworten auf die Herausforderungen im Gesundheitsbereich zu finden. Darauf sollten wir uns einstellen – und deshalb arbeiten wir intensiv daran, um unsere Transferaktivitäten nachhaltig zu verbessern.

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