Interview Zuverlässige KI entwickeln
Vincent Fortuin über die Zukunft des Bayesianischen Deep Learning
In einer bedeutenden Zusammenarbeit enthüllen Dr. Vincent Fortuin und 24 angesehene Wissenschaftler:innen aus der ganzen Welt einen innovativen Ansatz im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI). Ihre neueste Arbeit stellt den Status quo in Frage und präsentiert eine Vision für eine KI, die zuverlässiger, vertrauenswürdiger und sicherer ist. Ihre Forschung wird auf der renommierten International Conference on Machine Learning in Wien vorgestellt, zu der rund 10.000 internationale KI-Expert:innen erwartet werden. In diesem Interview erklärt Dr. Vincent Fortuin ihren neuen Ansatz für zuverlässige KI.
In diesem Interview erklärt Dr. Vincent Fortuin ihren neuen Ansatz für zuverlässige KI.
„KI-Systeme, die ihre eigene Zuverlässigkeit einschätzen können, werden zu mehr als nur Vorhersagemaschinen; sie werden zu Partnern in Entscheidungsprozessen.“
Dr. Vincent Fortuin
In einfachen Worten: Was ist Bayesianisches Deep Learning und wie unterscheidet es sich von traditionellen Deep-Learning-Ansätzen?
VF: Bayesianisches Deep Learning (BDL) ist ein Ansatz, der die Leistungsfähigkeit des Deep Learning mit der Präzision der Bayes'schen Statistik verbindet. Deep Learning hat sich als äußerst effektiv bei der Vorhersage bewährt, jedoch fehlt es oft an der Fähigkeit, Unsicherheiten zu quantifizieren. Hier setzt die Bayes'sche Statistik an. Indem die Parameter eines Deep-Learning-Modells als Zufallsvariablen betrachtet werden, ermöglicht BDL nicht nur die Schätzung einer einzelnen besten Vorhersage, sondern einer gesamten Verteilung möglicher Ergebnisse. Diese Verteilung erfasst die Unsicherheiten in den Daten und im Modell und bietet ein nuanciertes Verständnis der Vorhersagen. Dies kann entscheidend sein für fundierte Entscheidungen, insbesondere in sicherheitskritischen Anwendungen.
Was hat Sie und Ihr Team dazu motiviert, sich auf Bayesianisches Deep Learning im Rahmen von großen KI-Systemen zu konzentrieren?
VF: Mit der Zunahme von Größe und Komplexität bei Deep-Learning-Modellen sind auch die Herausforderungen bei ihrer Implementierung gewachsen. Große KI-Systeme, wie Foundation-Modelle, haben bemerkenswerte Leistungen in verschiedenen Aufgaben erzielt. Dennoch fehlt ihnen oft die Fähigkeit, ihre Unsicherheit zu quantifizieren oder sich effizient an neue Daten anzupassen. Dies kann zu übermäßig selbstsicheren Vorhersagen führen und zu einer mangelnden Robustheit, wenn sie mit Daten konfrontiert werden, die sich von ihrer Trainingsverteilung unterscheiden.
Wir sind der Ansicht, dass BDL eine vielversprechende Lösung für diese Herausforderungen bietet.
Können Sie genauer erklären, wie KI-Systeme davon profitieren können, wenn sie in der Lage sind, ihre eigene Zuverlässigkeit einzuschätzen?
VF: KI-Systeme, die ihre eigene Zuverlässigkeit einschätzen können, werden zu mehr als nur Vorhersagemaschinen; sie werden zu Partnern in Entscheidungsprozessen. Indem sie ihre Unsicherheit ausdrücken, liefern diese Systeme den Benutzer:innen entscheidende Informationen, um fundierte Entscheidungen zu treffen. Zum Beispiel könnte ein KI-System in der medizinischen Diagnose aufgrund früherer Daten selbstbewusst eine bestimmte Behandlung vorschlagen. Wenn es jedoch mit einem Patienten konfrontiert wird, der als Einzelfall gilt, könnte das System erkennen, dass seine Vorhersage aufgrund begrenzter ähnlicher Fälle in den Trainingsdaten weniger sicher ist. Es könnte daher darauf verzichten, eine Vorhersage zu treffen, und die Entscheidung einem erfahrenen Kliniker überlassen.
Diese Fähigkeit, die eigene Zuverlässigkeit zu beurteilen, ist besonders wertvoll in hochsensiblen Situationen wie autonomem Fahren oder medizinischer Diagnose. Sie ermöglicht es dem System, sich auf menschliche Expertise zu verlassen oder zusätzliche Daten anzufordern, wenn sein eigenes Vertrauen gering ist. So stellt es sicher, dass kritische Entscheidungen mit der erforderlichen Vorsicht getroffen werden.
„Ich wünsche mir eine Zukunft,
in der KI nicht nur klug,
sondern auch weise ist.“
Dr. Vincent Fortuin
Welche konkreten Anwendungen gibt es für Bayesianisches Deep Learning im täglichen Einsatz von Technologien wie Chatbots und virtuellen Assistenten?
VF: Bayesianisches Deep Learning hat das Potenzial, Alltagstechnologien zu revolutionieren, indem es sie zuverlässiger und benutzerfreundlicher macht. Nehmen wir zum Beispiel einen Chatbot oder virtuellen Assistenten, der mit BDL ausgestattet ist. Wenn man bereits einen der aktuellen Chatbots verwendet hat, mag man bemerkt haben, dass sie oft sehr selbstsichere Antworten geben, auch wenn diese falsch sind. Eine bayesianische Version eines Chatbots könnte dagegen eine Antwort zusammen mit einer Einschätzung der eigenen Zuversicht liefern. Wenn die Frage außerhalb seines Fachgebiets liegt oder die verfügbaren Daten unzureichend sind, kann es diese Unsicherheit dem Benutzer mitteilen und weitere Klärungen anregen oder alternative Informationsquellen vorschlagen.
Diese transparente Herangehensweise verbessert das Benutzererlebnis und stärkt das Vertrauen. Sie hilft auch dabei, die Erwartungen der Nutzer:innen zu managen und reduziert das Risiko einer übermäßigen Abhängigkeit von den Vorhersagen des Systems. Zusätzlich kann BDL diesen Systemen ermöglichen, sich im Laufe der Zeit anzupassen und zu verbessern, indem sie effizient neue Daten und Rückmeldungen der User integrieren.
Wie könnte dieser Ansatz Bereiche wie Medizin und wissenschaftliche Forschung revolutionieren?
VF: In der Medizin hat Bayesianisches Deep Learning das Potenzial, Diagnosen, Behandlungsplanung und die Arzneimittelforschung zu verbessern. Zum Beispiel kann BDL bei der Analyse von medizinischen Bildern Unsicherheitsschätzungen für seine Vorhersagen liefern, was Radiologen helfen kann, potenzielle Fehler zu identifizieren oder Bereiche zu erkennen, die weitere Untersuchungen erfordern. Darüber hinaus kann BDL die Entwicklung personalisierter Behandlungspläne erleichtern, indem es patientenspezifische Daten integriert und Unsicherheitsschätzungen für verschiedene Behandlungsoptionen bereitstellt.
In der wissenschaftlichen Forschung kann BDL bei der Entdeckung neuer Materialien, der Gestaltung von Molekülen und dem Verständnis komplexer physikalischer Systeme helfen. Indem es alle Möglichkeiten effizient erkundet, kann BDL Wissenschaftler:innen in vielversprechende Richtungen lenken und Bereiche identifizieren, die weiter erforscht werden müssen. Dies beschleunigt nicht nur den Forschungsprozess, sondern verbessert auch die Zuverlässigkeit wissenschaftlicher Entdeckungen.
Was ist Ihre Vision für die Zukunft der KI mit der Integration bayesianischer Prinzipien? Wie erwarten Sie, dass sich die KI in den nächsten zehn Jahren entwickeln wird?
VF: Ich wünsche mir eine Zukunft, in der KI nicht nur klug, sondern auch weise ist. Durch die Integration bayesianischer Prinzipien werden KI-Systeme robuster, zuverlässiger und vertrauenswürdiger. Sie werden in der Lage sein, ihre Unsicherheit auszudrücken, sich effizient an neue Daten anzupassen und transparente Erklärungen für ihre Entscheidungen zu liefern. Dadurch wird die KI uns Menschen in einer breiteren Palette von Aufgaben unterstützen können, von alltäglichen Gesprächen bis hin zur wissenschaftlichen Forschung.
In den nächsten zehn Jahren erwarte ich einen Wandel hin zu mehr bayesianisch inspirierten KI-Systemen. Die Integration bayesianischer Prinzipien wird zu einem entscheidenden Unterscheidungsmerkmal werden. Unternehmen und Forschende wollen Künstliche Intelligenzen entwickeln, die nicht nur genau, sondern auch zuverlässig und sicher ist. Dies wird zu einer neuen Generation von KI-Anwendungen führen, die besser auf die Komplexitäten und Unsicherheiten der realen Welt abgestimmt sind.
„Wir sind fest davon überzeugt, dass Bayesianisches Deep Learning das Potenzial hat, die KI zu revolutionieren, und wir möchten andere dazu einladen, sich uns auf dieser Reise anzuschließen.“
Dr. Vincent Fortuin
Können Sie uns etwas über die jüngste Zusammenarbeit erzählen, die zum Positionspapier "Bayesian Deep Learning is Needed in the Age of Large-Scale AI" geführt hat? Wie ist diese Partnerschaft zustande gekommen?
VF: Hinter diesem Positionspapier steht eine vielfältige Gruppe von Forschenden aus renommierten Institutionen weltweit, darunter die Universitäten in Oxford, Cambridge, Harvard, das MIT und Google Deepmind. Uns alle verband eine gemeinsame Leidenschaft für Bayesianisches Deep Learning und dessen Potenzial, die KI zu revolutionieren. Wir alle sahen es für notwendig an, die Bedeutung von BDL hervorzuheben, insbesondere im Kontext von groß angelegten KI-Systemen. Durch die Bündelung unserer unterschiedlichen Kompetenzen und Kenntnisse wollen wir das öffentliche Bewusstsein dafür schärfen, Diskussionen und weitere Forschungen in dieser Richtung anregen.
Sie präsentieren Ihre Arbeit auf der International Conference on Machine Learning in Wien. Was erhoffen Sie sich durch diese Präsentation?
VF: Die International Conference on Machine Learning ist eine angesehene Veranstaltung, die führende Forschende und Praktizierende auf diesem Gebiet zusammenbringt und zu den größten KI-Konferenzen der Welt zählt. Durch die Präsentation unserer Arbeit dort wollen wir ein breites Publikum erreichen und Diskussionen über die Rolle von BDL im Zeitalter großer KI-Modelle anstoßen. Wir hoffen, dass wir Forschende, Anwender:innen sowie politische Entscheidungsträger:innen dazu inspirieren können, sich über die Vorteile von BDL zu informieren und das Potenzial in ihren jeweiligen Bereichen zu untersuchen.
Außerdem wollen wir die spannenden Forschungsmöglichkeiten aufzeigen, die vor uns liegen. Indem wir einige der Herausforderungen und potenziellen Lösungen aufzeigen, wollen wir zur weiteren Erforschung und Zusammenarbeit in diesem spannenden Bereich anregen. Wir sind fest davon überzeugt, dass Bayesianisches Deep Learning das Potenzial hat, die KI zu revolutionieren, und wir möchten andere dazu einladen, sich uns auf dieser Reise anzuschließen.
Die International Conference on Machine Learning (IMCL)
Die ICML ist die wichtigste internationale wissenschaftliche Konferenz für maschinelles Lernen und eine der am schnellsten wachsenden Konferenzen für Künstliche Intelligenz weltweit.
Wie können andere Forschende und Institutionen zu Ihrer Vision für Bayesianisches Deep Learning beitragen oder mit Ihnen zusammenarbeiten?
VF: Das ist eine ausgezeichnete Frage! Mit unserem Positionspapier wollen wir Forschende und Praktizierende in verschiedenen Bereichen ermutigen, das Potenzial von BDL in ihren jeweiligen Bereichen zu erkunden. BDL ist ein vielseitiger Ansatz, der auf eine Vielzahl von Problemen angewandt werden kann, von Computer Vision und natürlicher Sprachverarbeitung bis hin zu wissenschaftlichen Entdeckungen und dem Gesundheitswesen. Indem sie mit BDL experimentieren und ihre Ergebnisse mitteilen, können die Wissenschaftler:innen zu einem wachsenden Wissensfundus beitragen und helfen, die Techniken zu verfeinern.
Zusätzlich besteht Bedarf an weiterführender Forschung zu den grundlegenden Fragen des Bayesianischen Deep Learnings. In unserem Papier identifizieren wir mehrere offene Probleme und vielversprechende Forschungsrichtungen, in der Hoffnung, dass Forscher:innen und Studierende sich davon inspirieren lassen. BDL ist ein komplexes Gebiet, das Expertise aus verschiedenen Disziplinen erfordert, darunter Maschinelles Lernen, Statistik und anwendungsspezifische Domänen. Indem wir Zusammenarbeit fördern und Communities bilden, können wir die Entwicklung und den Einsatz von BDL beschleunigen und seine Vorteile auf eine breitere Palette von Anwendungen ausweiten.
Schließlich gibt es auch einige spezialisierte wissenschaftliche Tagungen und Veranstaltungen für Bayesianisches Maschinelles Lernen, wie das jährliche internationale "Symposium on Advances in Approximate Bayesian Inference (AABI)", bei dem ich derzeit den allgemeinen Vorsitz habe. Interessierte Forschende und Studierende sind stets willkommen, an diesen Veranstaltungen teilzunehmen, um mehr über die aktuellen Forschungsfragen auf diesem Gebiet zu erfahren.
Wie verbessert die Integration bayesianischer Statistik in KI-Modelle deren Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit?
Die Integration bayesianischer Statistik in KI-Modelle bietet mehrere Vorteile, die zu einer verbesserten Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit führen.
Zunächst einmal bietet BDL einen fundierten Ansatz zur Quantifizierung der Unsicherheit, wodurch das Modell seine Zuversicht in die Vorhersagen ausdrücken kann. Dies ist besonders wichtig in sicherheitskritischen Anwendungen, wo fehlerhafte oder zu selbstsichere Vorhersagen schwerwiegende Folgen haben können.
Des Weiteren ermöglicht BDL KI-Modellen eine effizientere Anpassung an neue Daten. Durch die Behandlung der Parameter als Zufallsvariablen kann BDL seine Überzeugungen flexibler aktualisieren, ohne dass das gesamte Modell bei Verfügbarkeit neuer Daten vollständig neu trainiert werden muss. Diese Anpassungsfähigkeit ist entscheidend, um mit der kontinuierlich wandelbaren Natur realer Daten Schritt zu halten.
Schließlich erleichtert BDL ein besseres Verständnis des Entscheidungsprozesses des Modells. Durch die Untersuchung der Posterior-Verteilung über die Parameter können wir Einblicke in die Bedeutung verschiedener Merkmale und deren Beziehungen gewinnen. Diese Transparenz trägt dazu bei, Vertrauen aufzubauen und erleichtert die Erkennung möglicher Vorurteile oder Fehler im Modell.
Mehr über Dr. Vincent Fortuin erfahren
Dr. Vincent Fortuin ist Early Career Investigator am Computational Health Center bei Helmholtz Munich und Tenure-Track-Forschungsgruppenleiter bei Helmholtz AI in München. Er leitet die Gruppe für Effizientes Lernen und Probabilistische Inferenz für die Wissenschaft (ELPIS) und ist Fakultätsmitglied an der Technischen Universität München. Er ist außerdem Branco Weiss Fellow, Fellow der Konrad Zuse School of Excellence in Reliable AI und Mitglied des Munich Center for Machine Learning. Seine Forschung konzentriert sich auf zuverlässige und dateneffiziente KI-Ansätze, die Bayesian Deep Learning, Deep Generative Modeling, Meta-Learning und die PAC-Bayesian-Theorie nutzen. Davor promovierte er in Maschinellem Lernen an der ETH Zürich und war Forschungsstipendiat an der Universität Cambridge. Er ist Fakultätsmitglied einer ELLIS-Unit, regelmäßiger Gutachter und Bereichsvorsitzender bei allen großen Machine-Learning-Konferenzen, Action Editor für TMLR und Mitorganisator des Symposium on Advances in Approximate Bayesian Inference (AABI) und der ICBINB-Initiative.
Letzte Aktualisierung: Juli 2024.