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Von Metabolomics zur Astrochemie Eine Spur zu den ersten Bausteinen des Lebens

Was verbindet Helmholtz Munich mit der Weltraumforschung? Die weltweit einzigartigen Analysemethoden von Prof. Philippe Schmitt-Kopplin entschlüsseln nicht nur Stoffwechselprozesse – etwa bei umweltbedingten Erkrankungen oder Diabetes –, sondern auch die chemische Evolution unseres Sonnensystems. Sogar die NASA vertraut auf seine Analysen, um dem Ursprung des Lebens auf die Spur zu kommen.

Was verbindet Helmholtz Munich mit der Weltraumforschung? Die weltweit einzigartigen Analysemethoden von Prof. Philippe Schmitt-Kopplin entschlüsseln nicht nur Stoffwechselprozesse – etwa bei umweltbedingten Erkrankungen oder Diabetes –, sondern auch die chemische Evolution unseres Sonnensystems. Sogar die NASA vertraut auf seine Analysen, um dem Ursprung des Lebens auf die Spur zu kommen.

24. September 2023, in der Wüste des US-Bundesstaats Utah. Eine kleine Weltraumkapsel mit einer überaus kostbaren Fracht ist sicher auf dem staubigen Boden gelandet: Gerade zurück aus dem All birgt die NASA-Sonde OSIRIS-REx etwa 120 Gramm Gesteins- und Staubmaterial des Asteroiden Bennu. Wissenschaftler:innen erwarten diese Proben sehnsüchtig, stammen sie doch von einem kosmischen Relikt vom Beginn unseres Sonnensystems. Von der genauen Analyse der Mitbringsel vom Asteroiden Bennu erwarten sie sich Rückschlüsse auf dessen Frühzeit. Und nicht nur das: Auch die Rätsel um die Entstehung des Lebens auf der Erde wollen sie dadurch besser verstehen. 

Denn die Hoffnung der Forschenden ist, dass sich in diesen Proben Spuren der chemischen Prozesse verbergen, die einst die Grundlage für das Leben auf der Erde geschaffen haben. Doch um die Geheimnisse von Bennu zu entschlüsseln, braucht es mehr als nur modernste Raumfahrt. Es ist ausgeklügelte Analysetechnik nötig, wie sie Prof. Philippe Schmitt-Kopplin, Direktor der unabhängigen Forschungsgruppe „Analytische Biogeochemie“ mit seinen Mitarbeitenden bei Helmholtz Munich entwickelt und etabliert hat. Mit hochauflösender Massenspektrometrie und Kernspinresonanzspektroskopie (NMR) untersucht sein Team die molekulare Signatur dieser Proben – und eröffnet damit neue Perspektiven auf die Ursprünge organischer Chemie im Universum.

Ein Fenster in die Frühzeit des Sonnensystems

Bennu gehört zu einer seltenen Klasse von Asteroiden, die als ursprünglich und kohlenstoffreich gelten. Schon lange vor der OSIRIS-REx-Mission hatten Wissenschaftler:innen mit Teleskopen und Spektrometern Hinweise darauf gefunden, dass Bennu eine chemische Zusammensetzung besitzt, die zu Beginn der Existenz des Sonnensystems entstanden sein muss. Diese Vermutung wurde bestätigt, als die Sonde OSIRIS-REx nach zwei Jahren Flug durch das All den Asteroiden erreichte und zunächst detaillierte Analysen seiner Oberfläche durchführte: Bennu ist reich an kohlenstoffhaltigen Verbindungen und enthält Mineralien, die auf den früheren Kontakt mit Wasser hinweisen. Das macht ihn zu einer Art kosmischer Zeitkapsel, die Einblicke in die chemischen Prozesse jener viele Milliarden Jahre zurückliegenden Epoche erlaubt. Um auf der Erde umfangreichere Untersuchungen seines Materials anstellen zu können, hat die Sonde den Asteroiden kartiert, ein geeignetes Probenahmegebiet ausgewählt und schließlich mit einer speziellen „Touch-And-Go“-Technik Staub und Gesteinsbröckchen von Bennus Oberfläche entnommen. 

Erste Analysen der Proben aus der OSIRIS-REx-Mission haben bereits eine überraschend große Vielfalt organischer Verbindungen gezeigt, darunter Aminosäuren, DNA-Bausteine und wasserhaltige Salze. „Diese Funde deuten darauf hin, dass Bennu einst auf dem Mutterkörper flüssiges Wasser enthielt“, so Schmitt-Kopplin: „Wasser und Wärme – etwa in Form von hydrothermaler Aktivität – gelten als entscheidende Voraussetzungen für die Entstehung komplexer chemischer Prozesse, die auch Grundlage des Lebens auf der Erde sind.“

Einzigartige Proben – und eine gewaltige Herausforderung

Die detaillierte Untersuchung der Bennu-Proben stellt die Wissenschaft vor außergewöhnliche Herausforderungen. Zum einen ist das Material knapp – die OSIRIS-REx-Mission hat schließlich nur etwa 120 Gramm Gestein und Staub zur Erde gebracht. Jede Analyse muss daher in enger Abstimmung im Konsortium durchgeführt werden, um die wertvollen Proben nicht unnötig zu verbrauchen. Eine weitere Herausforderung liegt darin, Verfälschungen des Asteroiden-Materials durch irdische Kontamination zu vermeiden. Die Proben aus dem All müssen deshalb bestmöglich vor dem Kontakt mit der irdischen Atmosphäre und Biosphäre geschützt werden, um sicherzustellen, dass die in ihnen gefundenen organischen Moleküle tatsächlich von Bennu stammen – und nicht nachträglich aus der irdischen Umgebung eingebracht wurden.

In diesem Video: Forscher des Goddard Space Flight Center der NASA erhielten am 19. Juli 2024 eine zweite Probe des Asteroiden Bennu, die insgesamt fünf Gramm unberührtes Material enthält. Urheberrechte: NASA Goddard/OSIRIS-REx

Researchers at NASA’s Goddard Space Flight Center received a second sample of asteroid Bennu, totaling five grams of pristine material, on July 19, 2024. In this reel, the sample is prepared for hot water extract, or “Bennu tea,” at Goddard’s Astrobiology Analytical Laboratory. Credit: NASA Goddard/OSIRIS-REx

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All dies erfordert extreme Sorgfalt und hochpräzise Analytik, die kleinste chemische Signale entschlüsseln kann, ohne die Probe selbst zu verändern. Extrem empfindliche Nachweismethoden sind aber auch nötig, weil die Proben eine hochkomplexe Mischung aus organischen Molekülen und mineralischen Bestandteilen enthalten, die sich in ihrer Struktur deutlich von irdischem Material unterscheiden. „Die meisten dieser chemischen Verbindungen sind bislang unbekannt“, beschreibt Schmitt-Kopplin die Herausforderung: „Standardmethoden der Chemie und Geologie stoßen hier schnell an ihre Grenzen.“

Ein Blick in die molekulare Signatur des Universums

Um die Bennu-Proben in ihrer ganzen chemischen Tiefe zu entschlüsseln, braucht es also Methoden, die weit über konventionelle Analytik hinausgehen. Genau hier kommen Prof. Philippe Schmitt-Kopplin und sein Team bei Helmholtz Munich ins Spiel. Schmitt-Kopplins Gruppe ist weltweit führend in der Anwendung der so genannten „Fourier-Transform-Ionenzyklotron-Resonanz-Massenspektrometrie“ (FTICR-MS). FTICR-MS ist eine Technik, mit der sich die molekulare Zusammensetzung einer Probe mit bislang unerreichter Präzision bestimmen lässt. Sie basiert darauf, dass ionisierte Moleküle in einem sehr starken Magnetfeld durch ihre charakteristische Frequenz der Bewegungen präzise detektiert werden. Dadurch lassen sich selbst minimale Unterschiede in der chemischen Zusammensetzung sichtbar machen – mit einer Genauigkeit dieser physikalischen Werte von bis zur Hälfte der Masse eines Elektrons.

Vom Asteroiden zum Zellkern

Die analytischen Techniken, die Schmitt-Kopplins Team zur Untersuchung von Asteroidenproben einsetzt, haben ihren Ursprung in einem ganz anderen Forschungsfeld: der Metabolomics, also der Analyse von Stoffwechselprozessen im menschlichen Körper. Während die FTICR-MS-Technologie genutzt wird, um die chemische Geschichte von Bennu zu entschlüsseln, spielt sie eine ebenso entscheidende Rolle in der Biomedizin. Denn auch hier geht es darum, komplexe chemische Signaturen und Prozesse des Ökosystems Mensch zu identifizieren. Zum Beispiel in unserem Mikrobiom, also der bakteriellen Lebensgemeinschaft auf und in unserem Körper. Das Mikrobiom ist nicht nur eine Pufferzone zu unserer Umwelt an Schnittstellen wie Haut, Darm oder Lunge. Es spielt auch eine zentrale Rolle bei unserer Immunabwehr. Schmitt-Kopplins Team erforscht die Chemie der Mikrobiome und kann dabei Moleküle erkennen, die für bestimmte Bakterien charakteristisch sind, etwa bei der chronisch-entzündlichen Darmerkrankung.

Unsere mikrobiellen Besiedlungen und ihre chemischen Boten sind im dynamischen Austausch mit unserem Körper. Damit sind sie auch direkt abhängig von Umwelteinflüssen, von Ernährung und Lebensstil. Je nachdem, wo wir leben – Stadt oder Land – besteht unser Mikrobiom aus anderen mikrobiellen Gemeinschaften. Dadurch ändert sich aber auch die damit verbundene chemische Vielfalt, was möglicherweise wiederum Einfluss auf umweltbedingte Krankheiten wie Allergie oder Asthma hat.

Wie sich die Chemie der Mikrobiome durch Anpassung an die Umwelt oder Ernährung ändern oder sogar durch bestimmte Moleküle (z.B. aus Nahrungsergänzungsmitteln, Gewürzen oder Probiotika) steuern lässt, spielt in Schmitt-Kopplins Arbeit eine Schlüsselrolle – und führt zu Konzepten der personalisierten Medizin: Die Technologien FTICR-MS und NMR-Spektroskopie entwickelt und nutzt seine Forschungsgruppe seit zwei Jahrzehnten im Bereich Metabolomics, um minimale Unterschiede in chemischen Zusammensetzungen sichtbar zu machen.

“ Unsere Forschung könnte künftig dazu beitragen, individuell zugeschnittene Therapien zu entwickeln, die den Stoffwechsel gezielt beeinflussen und Erkrankungen präventiv entgegenwirken.”

Prof. Philippe Schmitt-Kopplin​

Neben der Erforschung des Mikrobioms kann Schmitt-Kopplins Team solche Veränderungen auch in Zellkulturen, Atemkodensat-, Urin- oder Blutproben nachweisen. Die Wissenschaftler:innen suchen dabei nach molekularen Markern, die eine Erkrankung bereits in einem sehr frühen Stadium anzeigen – lange bevor Symptome auftreten. Die gleichen analytischen Methoden, mit denen sich die chemische Entwicklung von Asteroiden rekonstruieren lässt, werden hier dazu genutzt, frühzeitig Stoffwechselveränderungen im menschlichen Körper im Zusammenhang mit dem Aufkommen von Krankheiten anhand von Biomarkern zu erkennen. Ziel ist es, die damit im Zusammenhang stehenden Erkrankungen gezielter, früher und personalisiert mit Medikamenten zu behandeln. 

Molekulare Prozesse in der biomedizinischen Forschung

Schnelligkeit, Vergleichbarkeit, Präzision

Ein wesentlicher Vorteil der FTICR-MS-Technologie in der biomedizinischen Forschung ist ihre außergewöhnliche Messgenauigkeit in Kombination mit hoher Geschwindigkeit. Tausende von Metaboliten lassen sich in hunderten von Proben innerhalb kurzer Zeit analysieren – und das mit einer Datenqualität, die über Jahre hinweg vergleichbar bleibt. Die Anwendung einheitlicher Qualitätskontrollen erlaubt es, neue Studien nahtlos mit früheren oder zukünftigen Auswertungen zu verbinden.

Künstliche Intelligenz trifft Massenspektrometrie

Besonders vielversprechend ist die Integration von künstlicher Intelligenz (KI), um die hochdimensionalen Daten effizient zu analysieren. Dieser Ansatz wird zunehmend auch in der Industrie genutzt und hat sich in Schmitt-Kopplins Forschung als vorteilhaft für genomweite Assoziationsstudien (GWAS) erwiesen.

Nicht-enzymatische Chemie im Körper

Ein weiterer Forschungsschwerpunkt liegt auf nicht-enzymatischen chemischen Reaktionen, die im Körper ebenso ablaufen wie beim Backen oder Rösten – bekannt als Maillard-Reaktion. Diese Prozesse können im Organismus zu oxidativen Schäden oder Nebenprodukten der Glykolyse führen, die mit chronischen Erkrankungen assoziiert sind. Die präzise Analyse dieser Reaktionen ermöglicht neue Einblicke in die Entstehung von Diabetes, neurodegenerativen Erkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und chronischen Entzündungen.

Helmholtz Munich – ein Zentrum interdisziplinärer Forschung

„Dass wir diese hochpräzisen Analysemethoden entwickeln und mit der NMR-Spektroskopie kombinieren konnten, liegt zum einen an der Kreativität und dem Einsatz aller Mitglieder im Team“, sagt Schmitt-Kopplin, „einen wichtigen Beitrag leistet aber auch die interdisziplinäre Ausrichtung von Helmholtz Munich. Als eines der führenden biomedizinischen Forschungszentren in Europa bietet es eine einzigartige Infrastruktur, um Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung in die praktische Anwendung zu überführen. Unsere Arbeit profitiert erheblich von diesem Umfeld, das den Austausch zwischen Chemikern, Biologinnen, Medizinern und Datenwissenschaftlerinnen fördert.“

Besonders wertvoll ist ihm die enge Zusammenarbeit mit anderen wissenschaftlichen Institutionen, darunter auch die Technische Universität München, wo er im Bereich Lebensmittelchemie und Mikrobiom-Forschung als Professor lehrt, sowie das Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, mit dem Schmitt-Kopplin die Astrochemie-Projekte als Gastwissenschaftler vorantreibt. Diese interdisziplinären Synergien ermöglichen es, neue Forschungsfelder zu erschließen und Methoden zu entwickeln, die über einzelne Disziplinen hinausgehen.

Die Zukunft der molekularen Analytik

Die Erforschung der Bennu-Proben steht erst am Anfang. In den kommenden Jahren werden Wissenschaftler:innen weiterhin die einzigartigen organischen Moleküle untersuchen, die auf dem Asteroiden gefunden wurden. Dabei geht es nicht nur darum, die chemische Evolution des Sonnensystems zu verstehen, sondern auch mögliche Parallelen zur Entstehung des Lebens auf der Erde zu finden. 

“Neue analytische Verfahren mit noch höherer Empfindlichkeit und besseren Nachweisgrenzen können in naher Zukunft dazu beitragen, noch komplexere molekulare Strukturen zu entschlüsseln, die bisher in keiner irdischen Datenbank existieren. Gerade in der Medizin eröffnen Metabolomics sowie die hochauflösende Massenspektrometrie und NMR-Spektroskopie neue Möglichkeiten.”

Philippe Schmitt-Kopplin

Die organische Mischung auf den Asteroiden und unserer Erde ist die größte chemische Bibliothek mit neuer Chemie, die wir gerade erst zu verstehen beginnen. Die langfristige Perspektive könnte sein, die molekulare Analytik so weiterzuentwickeln, dass sich nicht nur vergangene Prozesse rekonstruieren, sondern auch gezielt neue chemische Reaktionen vorhersagen und steuern lassen. Die Grenzforschung an Bennu ist also nicht nur ein Blick in unsere eigene Vergangenheit und die des Sonnensystems – sie liefert sicher auch neue Impulse für die Zukunft der Gesundheitswissenschaften. 

Original-Publikationen

  • Glavin et al., 2025: Abundant ammonia and nitrogen-rich soluble organic matter in samples from asteroid (101955) Bennu. Nature Astronomy. DOI: 10.1038/s41550-024-02472-9
  • Best et al., 2025: Metabolic modelling reveals the aging-associated decline of host–microbiome metabolic interactions in mice. Nature Microbiology. DOI: 10.1038/s41564-025-01959-z
  • Woodward et al., 2025: Continuum of non-targeted data for long term study of complex samples generated by direct infusion ultra-high resolution mass spectrometry. Talanta. DOI: 10.1016/j.talanta.2024.127514
  • Li et al., 2024: Dearomatization drives complexity generation in freshwater organic matter. Nature. DOI: 10.1038/s41586-024-07210-9
  • Lauretta et al., 2024: Asteroid (101955) Bennu in the laboratory: Properties of the sample collected by OSIRIS-REx. Meteorit Planet Science. DOI: 10.1111/maps.14227
  • Yan et al., 2024: Discovery of Glycation Products: Unraveling the Unknown Glycation Space Using a Mass Spectral Library from In Vitro Model Systems. Analytical Chemistry. DOI: 10.1021/acs.analchem.3c05540
  • Naraoka et al., 2023: Soluble organic molecules in samples of the carbonaceous asteroid (162173) Ryugu. Science. DOI: 10.1126/science.abn9033
  • Schmitt-Kopplin et al., 2023: Soluble organic matter Molecular atlas of Ryugu reveals cold hydrothermalism on C-type asteroid parent body. Nature Communication. DOI: 10.1038/s41467-023-42075-y
  • Zhang et al., 2022: Current and future approaches for in vitro hit discovery in diabetes mellitus. Drug Discovery Today. DOI: 10.1016/j.drudis.2022.07.016
  • Laber et al., 2021: Linking the FTO obesity rs1421085 variant circuitry to cellular, metabolic, and organismal phenotypes in vivo. Science Advances. DOI: 10.1126/sciadv.abg0108
  • Sillner et al. 2021: Longitudinal profiles of dietary and microbial metabolites in formula-and breastfed infants. Frontiers in molecular biosciences. DOI: 10.3389/fmolb.2021.660456
  • Mueller et al., 2020: Advanced identification of global bioactivity hotspots via screening of the metabolic fingerprint of entire ecosystems. Scientific Reports. DOI: 10.1038/s41598-020-57709-0

Letztes Update: April 2025.