Skip to main content
Brain organoid
ETH Zürich | ©Barbara Treutlein

Interview Das menschliche Gehirn verstehen – Zelle für Zelle

In einer wegweisenden internationalen Studie haben Forschende den Human Neural Organoid Cell Atlas (HNOCA) entwickelt – eine umfassende Ressource zur Kartierung der zellulären Vielfalt menschlicher neuraler Organoide. Der Atlas integriert 1,7 Millionen Einzelzell-Transkriptomprofile und stellt ein leistungsstarkes Werkzeug für die Erforschung der Gehirnentwicklung, von Krankheitsmechanismen und der Präzision von Organoiden dar. In diesem Interview spricht Prof. Fabian Theis, einer der Letztautoren der Studie, über die Bedeutung dieser neuen Ressource, ihren potenziellen Einfluss auf die Neurowissenschaften und die Medizin sowie die zentrale Rolle der Künstlichen Intelligenz bei ihrer Erstellung. 

In einer wegweisenden internationalen Studie haben Forschende den Human Neural Organoid Cell Atlas (HNOCA) entwickelt – eine umfassende Ressource zur Kartierung der zellulären Vielfalt menschlicher neuraler Organoide. Der Atlas integriert 1,7 Millionen Einzelzell-Transkriptomprofile und stellt ein leistungsstarkes Werkzeug für die Erforschung der Gehirnentwicklung, von Krankheitsmechanismen und der Präzision von Organoiden dar. In diesem Interview spricht Prof. Fabian Theis, einer der Letztautoren der Studie, über die Bedeutung dieser neuen Ressource, ihren potenziellen Einfluss auf die Neurowissenschaften und die Medizin sowie die zentrale Rolle der Künstlichen Intelligenz bei ihrer Erstellung. 

Eine neue Studie stellt den Human Neural Organoid Cell Atlas (HNOCA) vor. Was macht diese Ressource zu einem Meilenstein in der Erforschung des menschlichen Gehirns und seiner Entwicklung?

FT: Neuronale Organoide sind eine äußerst vielversprechende Technologie, um die Gehirnentwicklung, neurologische Erkrankungen und die Wirkung von Medikamenten besser zu verstehen. Dennoch gibt es in diesem Bereich noch viele offene Fragen, insbesondere hinsichtlich der Fähigkeit dieser Organoide, verschiedene Gehirnregionen nachzubilden. 

Um einige dieser drängenden Herausforderungen zu bewältigen, haben wir uns mit den Forschungsteams von Barbara Treutlein und Gray Camp zusammengeschlossen, um den HNOCA zu entwickeln. Dieser stellt einen bedeutenden Schritt nach vorne dar, da er eine umfassende Karte der zellulären Vielfalt in menschlichen neuralen Organoiden bietet. 

Durch den Einsatz neuester Fortschritte in der Künstlichen Intelligenz haben wir Daten aus über 1,7 Millionen Einzelzell-Transkriptomprofilen aus 36 Datensätzen integriert. Diese Ressource ermöglicht es uns, die Genauigkeit und Variabilität von Organoiden im Vergleich zum sich entwickelnden menschlichen Gehirn systematisch zu bewerten. Der HNOCA ermöglicht es insbesondere, Organoid-Protokolle hinsichtlich der repräsentierten Gehirnregionen und der transkriptomischen Genauigkeit zu vergleichen. 

Diese integrierte Ressource adressiert zentrale Herausforderungen des Forschungsfeldes, wie den Vergleich von Organoiden mit dem menschlichen Gehirn und die Standardisierung von Protokollen. 

"Der Human Neural Organoid Cell Atlas stellt einen bedeutenden Schritt nach vorne dar, da er eine umfassende Karte der zellulären Vielfalt in menschlichen neuralen Organoiden bietet."
Prof. Fabian Theis

Neuronale Organoide

Neuronale Organoide sind winzige, im Labor gezüchtete Strukturen, die wesentliche Merkmale des menschlichen Gehirns nachbilden. Sie entstehen aus Stammzellen, die sich in unterschiedliche Zelltypen des Körpers entwickeln können. Forschende nutzen neuronale Organoide, um die Gehirnentwicklung zu untersuchen, neurologische Erkrankungen besser zu verstehen und potenzielle Therapien in einer kontrollierten und ethisch vertretbaren Umgebung zu testen. 

Neuronale Organoide gelten oft als Brücke zwischen der Grundlagenforschung und klinischen Anwendungen. Wie sehen Sie den Beitrag des HNOCA zu Fortschritten im Verständnis von Gehirnerkrankungen und der Entwicklung von Therapien?

FT: Organoide haben in der Vergangenheit großes Potential für die Modellierung von Gehirnerkrankungen gezeigt, und der HNOCA verstärkt dieses Potenzial, indem er einen Referenzatlas bereitstellt, mit dem krankheitsspezifische Organoide mit einem robusten Kontrolldatensatz verglichen werden können. So ermöglicht er beispielsweise die präzise Annotation von Zelltypen und Gehirnregionen, wodurch Forscher Krankheitsphänotypen auf zellulärer Ebene identifizieren können. Durch die Identifizierung transkriptomischer Unterschiede zwischen erkrankten und einer umfassenden Sammlung gesunder Zustände hilft der HNOCA, Signalwege und Gene zu entdecken, die an den jeweiligen Krankheiten beteiligt sind.  

Darüber hinaus kann der Atlas die therapeutische Entwicklung vorantreiben, indem er weitere molekulare Zielstrukturen für Interventionen identifiziert und Organoid-Protokolle für das Medikamentenscreening optimiert, um ihre Relevanz für die menschliche Biologie sicherzustellen. 

Human Cell Atlas

Der Human Neural Organoid Cell Atlas ist Teil der internationalen Zusammenarbeit zur Erstellung des umfassenden Human Cell Atlas. Diese groß angelegte, internationale Forschungsinitiative wurde 2016 ins Leben gerufen und hat das Ziel, alle Zelltypen im gesunden Körper zu kartieren – von der Entwicklung über das Erwachsenenalter bis hin zum hohen Alter. Die Erstellung dieser umfassenden Referenzkarte menschlicher Zellen wird unser Verständnis von Gesundheit und Krankheit maßgeblich erweitern und weltweit bedeutende Fortschritte im Gesundheitswesen und in der Medizin fördern.

Ihre Arbeit beinhaltet die Integration riesiger Datenmengen aus verschiedenen Laboren und Protokollen. Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz bei der Bewältigung dieser komplexen Herausforderungen?

FT: Fortschritte in der Künstlichen Intelligenz (KI) haben eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung und Nutzung des HNOCA gespielt. Die Erstellung des HNOCA erforderte fortschrittliche Algorithmen, um verschiedene Datensätze zu harmonisieren und eine präzise Annotation von Zelltypen und -zuständen zu gewährleisten. Eine der transformierendsten Anwendungen des HNOCA liegt darin, generative KI-Modelle in die Lage zu versetzen, die Auswirkungen von gezielten Veränderungen in der Organoid-Entwicklung zu erlernen und vorherzusagen. Durch die Verwendung des HNOCA als Referenz kann KI dazu beitragen, relevante Optimierungen von Organoid-Protokollen zu identifizieren und damit die Erzeugung von Zelltypen und Gehirnregionen zu fördern, die derzeit unterrepräsentiert sind, wie etwa bestimmte Teile des Mittel- und Hinterhirns oder fortgeschrittene Entwicklungsstadien. 

Mit Blick auf die Zukunft sehen wir eine Entwicklung, in der virtuelle Zellmodelle – unterstützt durch KI, die auf groß angelegten Referenzdatensätzen wie dem HNOCA trainiert wurde – eine zentrale Rolle in der neurowissenschaftlichen Forschung spielen. Diese Modelle könnten das Verhalten ganzer Zellpopulationen unter verschiedenen experimentellen Bedingungen simulieren und so die Entdeckung optimierter Differenzierungsprotokolle erheblich beschleunigen. Darüber hinaus könnten mit der Weiterentwicklung von Foundation Models in der Biologie Multi-Omics-Daten, Bildgebung und Transkriptomik integriert werden, um umfassende virtuelle Gehirn-Organoid-Systeme zu schaffen, die einzigartige Einblicke in die menschliche Gehirnentwicklung und -erkrankungen bieten. Diese Synergie zwischen KI-Innovation und biologischen Experimentenwird die Grenzen in der biomedizinischen Forschung neu definieren. 

Über die Studie und die Forschenden

Die Studie wurde in enger Zusammenarbeit mit Forschenden der ETH Zürich, des Institute of Human Biology von Roche und Helmholtz Munich im Rahmen der Human Cell Atlas (HCA)-Initiative durchgeführt. Die Ergebnisse sind nun als Teil des HCA-Publikationspakets auf dem Titelblatt der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht worden.

Prof. Fabian Theis ist Direktor des Computational Health Centers und des Instituts für Computational Biology bei Helmholtz Munich. Die Arbeit wurde gemeinsam mit dem Postdoktoranden Leander Dony sowie Kolleg:innen von der ETH Zürich und dem Institut für Humanbiologie bei Roche durchgeführt, unterstützt von den Doktorand:innen Artur Szałata und Irena Slišković sowie der Gastwissenschaftlerin und Fulbright-Stipendiatin Katelyn X. Li. 

Originalpublikation

He, Z., Dony, L., Fleck, J.S. et al. An integrated transcriptomic cell atlas of human neural organoids. Nature 635, 690–698 (2024). https://doi.org/10.1038/s41586-024-08172-8  

Letzte Aktualisierung: November 2024.

Fabian Theis

Prof. Dr. Dr. Fabian Theis

Principal Investigator

Leander Dony

Postdoc