Interview Fit für KI: Wie man KI und Maschinelles Lernen nutzt
Dr. Steffen Scheider beschreibt die Chancen von Künstlicher Intelligenz in Wissenschaft und Bildung. Mit “KI macht Schule” bringt er Kompetenzen für den Umgang mit KI in die Schule.
Dr. Steffen Scheider beschreibt die Chancen von Künstlicher Intelligenz in Wissenschaft und Bildung. Mit “KI macht Schule” bringt er Kompetenzen für den Umgang mit KI in die Schule.
“Mein Ziel ist es, dass alle Menschen sicher mit KI umgehen können und zusätzlich möchte ich Jugendliche begeistern, diese Technologie selbst zu gestalten!“
Dr. Steffen Schneider, Leiter des Dynamical Inference Labs, Helmholtz Munich
Dr. Steffen Schneider erforscht den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Bereich Neurowissenschaften und engagiert sich darüber hinaus für Diversität und Bildungsgerechtigkeit. 2019 gründete er die Initiative „KI macht Schule“ und bringt seitdem Künstliche Intelligenz in den Schulunterricht. Über Kurse, Fortbildungen und eine offene Plattform mit Unterrichtsmaterialien und KI-Tools bietet er Schüler:innen und Lehrkräften die Möglichkeit, sich „Fit for AI“ zu machen. Für sein Engagement wurde er unter anderem mit dem academics-Nachwuchspreis 2024 ausgezeichnet.
Sie haben die Initiative „KI macht Schule“ ins Leben gerufen, warum?
StS: 2019 hat sich bereits abgezeichnet, dass KI als Querschnittstechnologie tiefgreifende Veränderungen in unserer Gesellschaft bewirken wird. In diesem Jahr wurden viele wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht. Mit einer Gruppe aus Studierenden und Gerade-Absolventen habe ich zu der Zeit den Grundstein für “KI macht Schule” geschaffen. Unser Ziel: Wir wollten gleich zu Beginn fundiertes Wissen für KI ermöglichen.
Zwei Jahre später haben wir KI macht Schule als gemeinnütziges Unternehmen gegründet – und waren damit damals wohl die einzige Initiative für KI-Bildung. Als dann drei Jahre später ChatGPT verfügbar war, explodiere die Nachfrage nach unserem Angebot.
Mein Ziel ist, dass alle Menschen sicher mit KI umgehen können und darüber hinaus Schülerinnen und Schüler zu begeistern, diese Technologie selbst zu gestalten. Heute ist das umso wichtiger, denn jetzt stellt KI konkrete Herausforderungen an das Bildungssystem und in den Schulen erreicht man alle, egal welches Bildungsniveau, direkt.
“Ich setze mich für Wissenschaftskommunikation ein, damit Forschung wahrgenommen wird.“
Dr. Steffen Schneider
Wie bringen Sie noch KI-Wissen in die Gesellschaft?
StS: KI-Bildung hört nicht nach dem Schulabschluss auf. Auch in der Hochschule finde ich es wichtig, möglichst viele Studierende mit der Technologie in Berührung zu bringen. Im Lern- und später Forschungsalltag ist es essentiell, mit KI-Tools umgehen zu können.
Wir starten dazu Mitte des Jahres zusammen mit dem DZD ein vom BMBF gefördertes Ergänzungsprogramm für AI & Health.
Außerdem bin ich in der Ausbildung von Doktoranden und Doktorandinnen aktiv. In meiner Forschungsgruppe erzähle ich von den verschiedenen Möglichkeiten, sich zu engagieren und unterstütze jeden Versuch, wirksame Wissenschaftskommunikation zu betreiben, denn ohne bleiben wissenschaftliche Erfolge und Leistungen unsichtbar.”
Warum ist Ihnen Public Engagement wichtig?
StS: Mir ist wichtig, dass Menschen verschiedener Bildungsniveaus in der Bevölkerung sinnvolle Entscheidungen mithilfe von KI treffen können. In Fragen von Regulierung und Umgang mit KI entscheidet letztlich nicht die Wissenschaft, sondern die Bevölkerung durch demokratische Prozesse.
2018 haben wir im Rahmen eines Kollegs der Studienstiftung Umfragen in Köln auf der Straße gemacht und gemerkt, dass sich die meisten Menschen wenig mit KI auskennen – woher auch, damals gab es noch keine breitgefächerte Medienöffentlichkeit, denn ChatGPT gab es noch nicht. In der Wissenschaft dagegen gab es diesen Hype schon seit über 6 Jahren. Ich finde es wichtig, die Öffentlichkeit frühzeitig über solche Trendwenden durch Zukunftstechnologien zu informieren.
“Mit generativer KI rücken wir als Menschen stärker in eine delegierende Rolle. Diese Arbeitsweise muss man aber erst lernen!“
Dr. Steffen Schneider
Welche ethisch-sozialen Herausforderungen entstehen beim Einsatz von KI?
StS: Sehr viele! Wir müssen uns in Europa sehr gut überlegen, wie wir uns beispielsweise gegenüber den USA und China und deren KI-Strategien positionieren wollen. Welche Einsatzfelder gefördert und welche reguliert werden sollten.
In der Bildung sehe ich die größte Herausforderung darin, dass sich die Art des Lernens stark verändern muss. Mit generativer KI rücken wir als Menschen stärker in eine delegierende Rolle. Diese Arbeitsweise muss man aber erst lernen, und darauf bereitet das System oft nicht ausreichend vor.
Welche Chancen sehen Sie, wenn bereits in der Schule KI-Kompetenz erworben wird?
StS: Bildung ist der erste Baustein, Europa und Deutschland dauerhaft zu einem Vorreiter in dieser Zukunftstechnologie zu machen. Neben exzellenter Forschung und innovativen Unternehmen brauchen wir auch engagierte junge Menschen, die sich für Technik interessieren und eine europäische Perspektive in das weltweite Rennen um die besten KI- Modelle einbringen.
Den größten Hebel sehe ich darin, dass wir verstärkt auf projektbasiertes Lernen und fächerübergreifende Kompetenzen in der Schule setzen.
“Bildung ist der erste Baustein, Europa und Deutschland dauerhaft zu einem Vorreiter in dieser Zukunftstechnologie zu machen.“
Dr. Steffen Schneider
Welche Vorteile bietet die Anbindung einer Initiative wie „KI macht Schule“ an Helmholtz Munich?
StS: Forschungszentren betreiben oft Wissenschaftskommunikation und wenden hierfür öffentliche Mittel auf. Im Gespräch mit zahlreichen Stakeholdern über die letzten 5 Jahre haben wir gemerkt, dass dabei oft innovative Konzepte und wirklich gute Formate entstehen, diese kommen aber oft nur Teilnehmenden einer isolierten Veranstaltung zugute.
Initiativen wie KI macht Schule bündeln und multiplizieren diese sowieso erfolgte Arbeit. Weil wir gemeinwohlorientiert arbeiten, geht es uns nicht darum, mit dieser Arbeit Geld zu verdienen. Es geht um Wirkungsmaximierung, vor allem wenn öffentliches Geld ausgegeben wird.
Deswegen sehen wir ein sehr großes Potential in der Vernetzung von wissenschaftlichen Institutionen und gemeinwohlorientierten Initiativen wie KI macht Schule und ich freue mich, dass auch Helmholtz Munich diese Initiative sehr unterstützt.
Sie wurden von academics zum Nachwuchswissenschaftler des Jahres 2024 ausgezeichnet. Was bedeutet der Preis für Sie?
StS: Ich habe mich sehr über diese Auszeichnung und die Anerkennung meiner Arbeit gefreut und besonders darüber, dass dieser Preis für die Kombination aus wissenschaftlicher Arbeit und Öffentlichkeitsarbeit verliehen wird.
Ich bin academics sehr dankbar für die Sichtbarkeit, die sowohl unsere Forschung bei Helmholtz Munich als auch “KI macht Schule” durch den Preis erhält.
academics-Nachwuchspreis
Der academics-Nachwuchspreis ehrt junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die nicht nur visionäre Forschung leisten, sondern sich auch durch beispielhaftes Engagement und freiwilligen Einsatz für die Wissenschaft auszeichnen. 2025 wird der Preis zum 18. Mal in Folge vergeben.
Wie würden Sie einem Laien Ihre Forschung erklären?
StS: Stellen wir uns Leonie vor, die gerade ein Fahrrad zu ihrem vierten Geburtstag geschenkt bekommen hat. Nach etwas Üben hat Leonie innerhalb von wenigen Tagen verstanden, wie ihr Fahrrad funktioniert, und wie sie es einsetzen kann, um ein Ziel zu erreichen: Von A nach B zu kommen. Uns als Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen interessiert im übertragenen Sinn, wie es Leonie schafft, die Dynamik des Systems “Fahrrad” zu verstehen, zu modellieren und dann zu steuern, um ihr Ziel zu erreichen. Natürlich wollen wir keine Fahrräder verstehen, sondern Zellkulturen, Modellorganismen und andere Versuchsaufbauten – also dynamische biologische Prozesse, die innerhalb eines Experiments ablaufen. Hierfür schauen sammeln wir Daten von so einem Prozess und überlegen, wie man auf das System einwirken kann, um es in einem bestimmten Zustand zu steuern. Genauso wie Leonie, die genau antizipieren kann, was mit dem Fahrrad passiert, wenn sie in die Pedale tritt.
Auf welche dynamischen biologischen Prozesse beziehen Sie sich?
StS: Das spannendste dynamische System ist aus meiner Sicht das Gehirn selbst. Es steuert unseren Körper und wirkt dadurch auf die Umwelt ein. Mit unserer Forschung möchten wir beitragen, dieses Zusammenspiel besser zu verstehen. Dabei können Daten beispielsweise die Aktivität von Neuronen im Gehirn oder das Verhalten eines untersuchten Organismus innerhalb eines Experiments sein.
Welche Erkrankungen könnten von den neuen Ansätzen profitieren?
StS: Unsere Methode ist zunächst unabhängig vom konkreten Anwendungsbereich – solange die Daten über eine Zeitachse verfügen wie beispielsweise: das Verhalten eines untersuchten Organismus, die Aktivität von Neuronen in unserem Gehirn, oder das Zusammenspielen von Zellen in einer Petrischale im Verlauf eines Tages: All dies sind komplexe Prozesse, und wir als Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen möchten eine Beschreibung dieser Systeme haben. Eine Erkrankung können wir als Abweichung des normalen Systemverhaltens beschreiben.
Wir arbeiten hierfür auch mit anderen Forschungsgruppen zusammen, die neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer besser verstehen möchten, oder die Wahrnehmung von chronischem Schmerz. Aber auch in der medizinischen Grundlagenforschung gibt es großes Potential: Gemeinsam mit der German Mouse Clinic bei Helmholtz Munich entwickeln wir bessere Methoden zur Analyse von zeitbezogenen Daten, um Mausmodelle genauer zu beschreiben – ein wichtiger Schritt für die spätere präklinische Forschung.
„Wir entwickeln zuverlässige und verständliche Machine-Learning-Methoden, um herauszufinden, wie biologische Systeme Informationen verarbeiten. Es ist eine Art „Reverse Engineering“ für biologische Systeme"
Steffen Schneider
Welches Potenzial hat KI speziell für neurodegenerative Erkrankungen?
StS: In den Neurowissenschaften können wir heutzutage riesige Datenmengen aufzeichnen. Je nach untersuchtem Modelorganismus kann das das komplette Gehirn und der Körperzustand des Tieres sein, oder zumindest viele hochaufgelöste Daten aus verschiedenen Hirnregionen.
Es gibt immer noch viel zu wenige Wege, aus diesen Datenmengen Erkenntnisse zu ziehen. Speziell für die Erforschung von Erkrankungen des Gehirns halte ich es für wichtig, den “Normalzustand” akkurat modellieren zu können, um dann Abweichungen erkennen, beschreiben und perspektivisch besser behandeln zu können.
Hierfür entwickeln wir die passende Methodik, die wir in enger Abstimmung mit Forschenden entwickeln und Anwenden, die konkrete Fragestellungen in verschiedenen Modelorganisme nund am Menschen beantworten möchten.
Expertenwissen: Maschinelles Lernen (ML)
Maschinelles Lernen ist ein Teilbereich der Künstlichen Intelligenz (KI). Es beschreibt die Fähigkeit von Computern, aus Daten zu lernen und sich selbstständig zu verbessern, ohne explizit programmiert zu werden. Der Fokus liegt darauf, Muster in Daten zu erkennen und daraus Vorhersagen oder Entscheidungen abzuleiten.
Das Grundprinzip:
Ein ML-Modell wird mit Daten trainiert, um Zusammenhänge und Muster zu erkennen. Anschließend kann es auf neue Daten angewendet werden, um Vorhersagen oder Analysen zu erstellen.
Mehr über Dr. Steffen Schneider
Auszeichnung: Dr. Steffen Schneider ist Nachwuchswissenschaftler des Jahres 2024
Zu Steffens Labor: Schneider Lab
Kontakt: steffen.schneider@helmholtz-munich.de
Swiss Society for Neuroscience Best Publication Award 2025
Dr. Steffen Schneider erhielt den Best Publication Award 2025 der Swiss Society for Neuroscience für seine Veröffentlichung:
Learnable latent embeddings for joint behavioural and neural analysis
Forschung & News
Letzte Aktualisierung: Mai 2025.