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Porträt Alexandra Schneider
Helmholtz Munich | Matthias Tunger Photodesign

Interview Starkregen, Hitze und Kälte stressen die Gesundheit

Dr. Alexandra Schneider erklärt die Auswirkungen von Extremwetter auf Herzkreislauferkrankungen, wie Herzinfarkt und Schlaganfall.

Dr. Alexandra Schneider erklärt die Auswirkungen von Extremwetter auf Herzkreislauferkrankungen, wie Herzinfarkt und Schlaganfall.

“Das Leben in Städten bedeutet, verschiedenen Umweltfaktoren ausgesetzt zu sein. Ich will erforschen, wie die Gesundheit – vor allem von Personengruppen, die sensibel auf schädliche Umwelteinflüsse reagieren – besser geschützt werden kann.”
Dr. Alexandra Schneider, stellvertretende Direktorin des Instituts für Epidemiologie, Helmholtz Munich

Dr. Alexandra Schneider erforscht Herzkreislauf-Erkrankungen. Ihr Forschungsfokus: Die Auswirkungen von Wetter und Klimawandel auf die Gesundheit und das Zusammenspiel mit Luftverschmutzung. Zusammen mit den gesundheitsschädlichen Effekten von Lärm und den gesundheitsfördernden Einflüssen von grünen und blauen Flächen befasst sich Dr. Alexandra Schneider insgesamt mit dem Thema „Urban Health“.

Wetterfühligkeit – wirklich nur eine Gefühlssache?

AS: Das Verhältnis des Menschen zum Wetter wird durch zwei Tatsachen charakterisiert. Erstens ist das Wetter stets gegenwärtig und nie ausschaltbar. Zweitens ist es einem ständigen Wechsel unterworfen. Demnach sind Reaktionen auf das Wetter physiologische Abläufe mit dem Ziel, den Organismus an den natürlichen Umweltfaktor Wetter anzupassen. Die Wetterreize treffen alle, doch nur der gesunde Organismus kann diese so regulieren, dass das Befinden nicht gestört wird. Dabei laufen über das vegetative, nicht willentlich steuerbare Nervensystem, automatische, individuell unterschiedliche Reaktionen, Regel- und Kompensationsmechanismen in Kreislauf, Stoffwechsel und Thermoregulation ab. Ist der Organismus geschwächt, zum Beispiel durch Alterserscheinungen oder chronische Erkrankungen, koppeln diese an den Schwachstellen an und es treten Befindensstörungen und Erkrankungen auf.

“Luftschadstoffe beeinflussen den Körper zum Teil über ähnliche Wirkmechanismen wie Hitze und Kälte. Daher ist es plausibel, dass Luftverschmutzung die Folgen von extremen Temperaturen verstärken.”
Alexandra Schneider

Welche Rolle spielt die Luftverschmutzung?

Luftverschmutzung ist ein wichtiger Risikofaktor für die weltweite Gesundheit: Luftverschmutzung schädigt die meisten Organsysteme und wird mit vielen Krankheiten wie Asthma, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, COPD, Lungenentzündung, Schlaganfall, Diabetes, Lungenkrebs und Demenz in Verbindung gebracht. Die neueste Global Burden of Disease-Studie schätzt, dass die Luftverschmutzung im Jahr 2021 weltweit  der wichtigste globale Risikofaktor war, gefolgt von Bluthochdruck, Tabakkonsum und schlechter Ernährung. Die Europäische Umweltagentur schätzt, dass in der EU im Jahr 2020 300.000 vorzeitige Todesfälle auf Luftverschmutzung zurückzuführen waren.

“Der Klimawandel ist die größte Umweltbedrohung für die menschliche Gesundheit im 21. Jahrhundert.”
Alexandra Schneider

Welche Auswirkungen hat der Klimawandel?

Der Klimawandel ist die größte Umweltbedrohung für die menschliche Gesundheit im 21. Jahrhundert. Der Klimawandel ist ein dynamisches Phänomen, das mit weltweit steigenden globalen Temperaturen und einer Zunahme extremer Wetterereignisse wie Waldbrände, Hitzewellen und Dürren einhergeht. Während die Auswirkungen von Kälte, Luftverschmutzung und saisonalen Schwankungen auf die kardiovaskuläre Gesundheit relativ gut untersucht sind, gibt es für die Auswirkungen von Hitze auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen noch nicht so viele Studien. Die GBD 2019 (Global Burden of Diseases, Injuries, and Risk Factors Study) berücksichtigte hohe Temperaturen als Risikofaktor für die menschliche Gesundheit: Hitze sei weltweit für 11,7 Millionen verlorene gesunde Lebensjahre verantwortlich. Insbesondere extreme Hitze und Hitzestress können durch die akute Verschlimmerung von Krankheiten zu schwerwiegenden gesundheitlichen Auswirkungen führen.

“Hitze erhöht das Risiko für Herzinfarkt.”
Alexandra Schneider

Durch den Klimawandel nehmen hitzebedingte Krankenhausaufenthalte wegen Herzinfarkten zu. Eine Studie zeigte, dass Herzinfarkte zwischen 1987 und 2000 vor allem durch Kälte ausgelöst wurden, während das Risiko durch Hitze zwischen 2001 und 2014 deutlich anstieg, besonders bei Menschen mit Diabetes oder hohen Blutfettwerten. Extreme Temperaturen sollten daher als wichtiger Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen berücksichtigt werden, vor allem bei gefährdeten Personen.

Kann Regen stressen?

AS: Mäßige bis starke Regenfälle können durch zwei Hauptmechanismen schützende Wirkungen ausüben. Zum einen können sie die Luftqualität verbessern: Regen verringert die Konzentration von Feinstaub in der Atmosphäre und kann so möglicherweise die negativen Auswirkungen auf die Atemwege und das Herzinfarkt-Risiko abschwächen. Regen sorgt auch generell für Abkühlung. Darüber hinaus kann es dazu führen, dass Menschen mehr Zeit im Innenraum verbringen. Beide Veränderungen verringern die direkte Exposition gegenüber der Außenluftverschmutzung und nicht-optimalen Temperaturen und schützen so vor gesundheitlichen Problemen.

Expertenwissen:

Feine Partikel mit einem Durchmesser von 2,5 Mikrometern oder weniger sind so klein, dass sie mit bloßem Auge nicht sichtbar sind und leicht tief in die Atemwege eindringen können, bis in die Lungenbläschen (Alveolen). Ihr Durchmesser entspricht etwa 1/30 des Durchmessers eines menschlichen Haares. Wegen ihrer geringen Größe können  diese Partikel gesundheitsschädlich sein. Sie gelangen nicht nur in die Lunge, sondern auch ins Blutkreislaufsystem und können Herz-Kreislauf- sowie Atemwegserkrankungen auslösen.
Hauptquellen für feine Partikel sind Verkehr, Industrieemissionen, Holzöfen, Landwirtschaft und natürliche Quellen wie Waldbrände.

Wie wirkt Starkregen auf die Gesundheit?

AS: Mit zunehmender Niederschlagsintensität können die anfänglichen Schutzwirkungen durch eine Kaskade negativer Auswirkungen beeinträchtigt werden: Intensive Regenfälle können den Zugang zur Gesundheitsversorgung erschweren. Auch kann die Infrastruktur beschädigt werden: Die Auswirkungen von Stromausfällen und der Wegfall von grundlegenden medizinischen Dienstleistungen trifft dann vor allem ältere Menschen und Personen mit chronischen Krankheiten, die oft einen ständigen Zugang zu Medikamenten und Gesundheitsversorgung benötigen.

„Starkregen kann sich negativ auf die psychische Gesundheit auswirken, was wiederum die körperliche Gesundheit beeinflusst.“
Alexandra Schneider


AS: Intensive Regenfälle können die Wasser- und Lebensmittelqualität beeinträchtigen, indem sie pathogene Mikroorganismen einschleppen: Durchfallerkrankungen, Infektionen und damit verbundene höhere Sterblichkeit können die Folge sein.
Eine erhöhte Luftfeuchtigkeit begünstigt das Wachstum von Krankheitserregern in der Luft und kann allergische Reaktionen und Atemwegsprobleme auslösen, vor allem bei gefährdeten Personen. Schnelle Schwankungen des atmosphärischen Drucks können den Sauerstoffpartialdruck im Körper verringern: kardiovaskuläre und respiratorische Komplikationen sind die Folge. Darüber hinaus können große Temperaturschwankungen, die oft mit Regentagen einhergehen, sowohl die Atemwege als auch das Herz-Kreislauf-System beeinträchtigen.

Extreme Regenfälle können tiefgreifende Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben und Stress und Ängste auslösen, die bereits bestehende psychische Erkrankungen verschlimmern können, und indirekt zu einer erhöhten Gesamtsterblichkeit aufgrund nicht-externer Ursachen beitragen.

Was kann man konkret zur Prävention von Herzinfarkt und Schlaganfall tun?

Hitzeaktionspläne sind wichtig zum Schutz der Gesundheit. Diese müssen auf Landesebene, aber auch in Kommunen und Gesundheitseinrichtungen entwickelt und umgesetzt werden. Im Sommer 2023 hat der Bundesgesundheitsminister einen nationalen Hitzeschutzplan ins Leben gerufen, der ständig weiterentwickelt und verbessert wird. Dieser Plan betont die stärkere Einbindung von Haus- und Fachärzt:innen in der hitzerelevanten Beratung, Begleitung und Behandlung vor allem von Patient:innen mit Vorerkrankung.

“Unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse sind wichtig für die Gesundheit der Bevölkerung: Wir müssen resilienter gegenüber dem Klimawandel werden – eine wichtige Basis hierfür ist unser Gesundheitssystem! ”
Alexandra Schneider

Welche Funktion können Fachleute übernehmen?

AS: Herzkreislauferkrankungen zählen unter den chronischen Erkrankungen zu den wichtigsten Risikofaktoren für hitzebedingte Krankenhauseinweisungen und Sterblichkeit. Deswegen ist es wichtig, dass Kardiolog:innen die Auswirkungen von Hitze auf das Herzkreislauf-System sowie die Interaktion von Hitze mit Herz- und Kreislauf-wirksamen Medikamenten in der klinischen Routine beachten. Kardiolog:innen können durch schnell umsetzbare Maßnahmen in der Praxis oder in der stationären Abteilung zur Risikominimierung für gefährdete Patient:innen beitragen und sind daher als Fachärzt:innen essenziell für einen funktionierenden Hitzeschutz.
Es ist wichtig, dass Kardiolog:innen gut informiert sind: über Hitze-assoziierte Erkrankungen und Komplikationen sowie Wechselwirkungen von entsprechenden Medikamenten und möglichen Präventionsmaßnahmen.

Weitere Maßnahmen sind, dass Risikopatient:innen über den Sommer begleitet und bei Hitzeereignissen gesondert kontaktiert werden könnten – in Form von Hinweisen zu risiko-erhöhenden wie auch schützenden Faktoren, Verhaltensanpassungen und eine Anpassung von Herz- und Kreislauf-Medikamenten bei Hitzeereignissen. Weitere mögliche Hitzeschutzmaßnahmen betreffen die Praxisorganisation: Termine könnten für Risiko- Patient:innen zu kühleren Tageszeiten vergeben werden und Eingriffe an heißen Tagen sollten nur durchgeführt werden, wenn sie dringend notwendig sind; kühle Praxisräume reduzieren zusätzlich gesundheitliche Beschwerden.

Segen und Fluch zugleicht? – Können Medikamente, die normalerweise vor Herzkreislauf-Erkrankungen schützen, an heißen Tagen das Risiko für Herzinfarkt erhöhen?

AS: Hitze kann die Wirkung von Medikamenten beeinflussen, indem sie deren Aufnahme, Verteilung oder Ausscheidung im Körper verändert. Dadurch steigt das Risiko für Nebenwirkungen wie die Überdosierung bei eingeschränkter Nierenfunktion, schnellerer Wirkungseintritt bei subkutanen Medikamenten wie Insulin oder verstärkte Blutdrucksenkung bei blutdrucksenkenden Medikamenten wie Betablockern.
 

 

 

 

“Das Wetter wirkt als komplexes System auf unsere Gesundheit: Wenn wir Auswirkungen auf Herzinfarkt und Schlaganfall verstehen wollen, müssen wir die Wechselwirkungen zwischen Luftdruck, Luftfeuchtigkeit, Temperatur und auch verschiedenen Luftschadstoffen verstehen!”
Alexandra Schneider

Stimmt die Formel: Je heißer die Temperaturen, desto größer das Risiko für Herzkreislauf-Erkrankungen?


AS: Das Wetter wirkt als komplexes System auf unsere Gesundheit: Wenn wir Auswirkungen auf Herzinfarkt und Schlaganfall verstehen wollen, müssen wir die Wechselwirkungen zwischen Luftdruck, Luftfeuchtigkeit, Temperatur und auch verschiedenen Luftschadstoffen verstehen!
Für einzelne Faktoren ist der Einfluss auf die Gesundheit oft klar belegt – das gilt jedoch nicht für Kombination von Umweltfaktoren, und bei großer Hitze verändern sich mehrere Faktoren.
Da für die meisten Umweltfaktoren bisher kein Grenzwert gefunden wurde, ist es sinnvoll, die Belastung durch die einzelnen Umweltfaktoren so niedrig wie möglich zu halten.

Heiß und kalt – beides sind Risikofaktoren für Schlaganfall?


AS: Extreme Temperaturen, sowohl Hitze als auch Kälte, können den Körper stark belasten und das Risiko für Herzkreislauferkrankungen erhöhen – vor allem durch Veränderungen in Blutgefäßen, Entzündungen und Blutgerinnung.

Expertenwissen:Warum sind Hitze und Kälte Risikofaktoren?

  • Bei Hitze versucht der Körper, sich abzukühlen, indem die Blutgefäße erweitert (Vasodilatation) und durch Schwitzen Wärme abgibt. Die Folge kann jedoch Flüssigkeitsverlust (Dehydration) sein und zu  einem Ungleichgewicht der Salze (Elektrolyte) und einer erhöhten Herzfrequenz (Tachykardie) führen. Diese Belastungen erhöhen das Risiko für Herzprobleme, wie Durchblutungsstörungen (Ischämie) oder das Aufreißen von Ablagerungen in den Arterien (Plaqueruptur). Außerdem begünstigt Hitze eine erhöhte Blutgerinnung, da das Blut durch Schwitzen dicker wird. Gleichzeitig können Entzündungsreaktionen verstärkt werden, was die Blutgefäße zusätzlich schädigen kann.
     
  • Bei Kälte reagiert der Körper mit einer Verengung der Blutgefäße (Vasokonstriktion), einer höheren Herzfrequenz und Muskelanspannung, um Wärme zu speichern. Das kann den Blutdruck und die Konzentration der Blutzellen erhöhen, was das Herzkreislauf-System belastet. Kälte kann auch Cholesterinkristalle in Ablagerungen fördern und Entzündungen verstärken, wodurch das Risiko für Herzprobleme steigt.

Reine Nervensache? – Wie wirken Umweltfaktoren auf das Nervensystem und erhöhen so das Schlaganfall-Risiko?


AS: Umweltstressoren wie Hitze, Kälte und Luftverschmutzung beeinflussen das autonome Nervensystem (ANS) und verstärken Risiken wie Herzinfarkt und Schlaganfall. Um das zu verstehen, muss man wissen, dass das autonome Nervensystem (Sympathikus und Parasympathikus) Herz und Gehirn steuert: Eine Überaktivierung des Sympathikus kann Herzfrequenz und Blutdruck erhöhen – das Herz wird stärker belastet und es kann zum Herzinfarkt kommen. Schlaganfälle können das Nervensystem stören und Herzrhythmusstörungen oder andere Herzprobleme auslösen. Das ANS beeinflusst auch das sogenannte Vorhofflimmern, indem es die Herzfrequenz, die Erregbarkeit des Vorhofgewebes und die elektrischen Leitungsbahnen im Herz steuert, mit der möglichen Folge eines Schlaganfalls.

Wie wirkt das Wetter noch auf den Körper?

AS: Umweltfaktoren können viele Körpersysteme beeinflussen. Neben dem Nervensystem sind das beispielsweise das Immunsystem, die Atmung, das Herzkreislaufsystem und das sogenannte endokrine System, das für die Hormonproduktion verantwortlich ist. Luftverschmutzung und Klimawandel spielen hier eine wichtige Rolle. Deshalb ist es wichtig, auf eine gesunde Umwelt zu achten.

Expertenwissen: Einfluss von Umweltfaktoren auf Körper-Systeme
 

  • Immunsystem: Ernährung, Bewegung und Stress beeinflussen die Immunabwehr. Kälte erhöht das Infektionsrisiko, Hitze begünstigt neue Infektionen durch Mücken oder verunreinigtes Wasser.
  • Atmungssystem: Luftverschmutzung und Allergene verschlimmern Atemwegserkrankungen wie Asthma. Saubere Luft ist wichtig.
  • Herz-Kreislauf-System: Luftverschmutzung, Lärm und Stress erhöhen das Risiko für Herzkrankheiten, während Bewegung und gesunde Ernährung schützen.
  • Nervensystem: Lärm, Licht und Chemikalien fördern Stress, Schlafprobleme und neurologische Krankheiten.
  • Endokrines System: Umweltchemikalien können Hormone stören und zu Unfruchtbarkeit, Schilddrüsenproblemen und Stoffwechselstörungen führen.

Letzte Aktualisierung: Januar 2025